„Mein Vater hat den Western erneuert“ | Ein Interview mit Detlef Wilken, dem Sohn des Western-Autors U. H. Wilken

Der Name U. H. Wilken ist in der deutschen Westernliteratur bestens bekannt für spannende Westernromane mit sehr viel Action und Dramatik. Über Jahrzehnte hat der Name U.H. Wilken gleich mehrere Generationen von Lesern begeistert, und sein Name ist untrennbar verbunden mit solchen Serien wie DAN OAKLAND, ZURDO und CHEYENNE. Anlässlich der Neuauflage der Dan Oakland-Serie führte Alfred Wallon, der zuständige Redakteur des BLITZ-Verlages mit Detlef Wilken, Sohn des Autors, ein Interview.

Wallon: Zunächst einmal vielen Dank dafür, dass wir nun endlich eine Neuauflage der legendären Westernserie Dan Oakland im BLITZ-Verlag als eBook und Taschenbuch-Sammlerausgabe erleben können. Die langjährigen Westernleser kennen den Namen U.H. Wilken natürlich. Aber wie könnte man diesen Autor neuen Lesern am besten vorstellen? Oder anders gesagt: wer war U.H. Wilken?

Wilken: Offen gestanden: das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Ich glaube, niemand hat diese Frage so sehr beschäftigt, wie ihn selbst. Als er sich in seiner Jugend auf den Weg machte, wollte er genau das herausfinden. Er hatte diese Neugier in sich, weil er lange nicht wusste, wo er herkam, wo seine Wurzeln lagen, ähnlich wie bei seinem Helden Cheyenne, dem „großen Fremden“, war Identität für ihn nichts Vorgegebenes, sondern eine offene Frage, eine Aufgabe, die jeder für sich zu lösen hat.

U. H. Wilken | Teufelsbrigade | Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Wenn Dan Oakland – nachdem ihm die Indianer seine Kleidung weggenommen haben – in dem Roman Teufelsbrigade barfuß und splitterfasernackt durch die glühend heiße Savanne um sein Leben rennt, wie ein Waldläufer ohne Wald (denn das ist er ja in diesem Moment: ein Trapper ohne sein angestammtes Jagdgebiet) und er dabei die Arme ganz eng am Körper geschlossen hält, um den Indianerpfeilen keine Angriffsfläche zu bieten, in diesem weiten, flachen Land, wo kein Strauch und kein Baum Schutz bieten, dann haben sie es nicht nur mit einem grandiosen Western zu tun, sondern sie spüren als Leser geradezu, dass hier ganz persönliche Erfahrungen, Beobachtungen, Wahrnehmungen mit eingeflossen sein müssen, auch wenn der Held durch ein unbekanntes Land läuft, welches kein Mensch je wirklich gesehen, gerochen, gespürt hat und das im Grunde nur in der Vorstellung des Autors existiert. Das macht den Unterschied zwischen ihm und beispielsweise Karl May aus, mit dem man ihn einmal verglichen hat. obwohl er den modernen amerikanischen Autoren seiner Zeit sehr viel näher steht. Wegen seines Realismus bezeichnete man ihn einmal als den „Totengräber“ des klassischen Western, obwohl er den Western erneuert hat. Dasselbe sagte man auch von John Ford, als er auf das Unrecht hinwies, das man den Indianern zufügte, indem er seine Helden an ihrer „Mission“ zweifeln ließ: sie waren am Ende in sich zerrissene Einzelgänger, die von den Mühlsteinen ihrer Zeit zerrieben zu werden drohten und sich dennoch zu behaupten wussten, wenngleich nicht ohne tiefgehende Wunden und Blessuren besonders seelischer Natur.

Wallon: Wie begann Ihr Vater seine Laufbahn als Autor? Wie hat er gearbeitet, und was war ihm besonders wichtig?

Wilken: Er schrieb schon als Jugendlicher für Zeitungen und kleine Magazine, hauptsächlich Natur-geschichten, er war sehr naturverbunden, streunte endlos durch Wiesen und Wälder, kannte jede Pflanze und jedes Tier, das seinen Weg kreuzte. Ich glaube, das war zugleich der Anfang von Dan Oakland, ohne dass er das damals wusste. Er spürte, dass hinter den Dingen noch etwas „anderes“ lag, dass der Missouri überall war. Die Liebe zum Western überwog, wie er einmal sagte: Ein Verlag nahm das erste Manuskript 1963 an und dann konnte nichts ihn mehr aufhalten. 30 Jahre später waren daraus über 600 Romane geworden, die in Millionenauflagen weltweit erschienen.

U. H. Wilken | Der weiße Büffel |
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Er benötigte in erster Linie seine mechanische Schreibmaschine, ausreichend Farbbänder, Papier und Durchschläge, drei, vier Stangen Peter Stuyvesant-Zigaretten, um damit über die nächsten drei oder vier Wochen zu kommen, zeitweise waren es auch Zigarillos, später dann Pfeife. In den 80ern versuchte er sich mit einer elektrischen Schreibmaschine anzufreunden, aber das tack-tack-tack der mechanischen Schreibmaschine, das einem das Gefühl vermittelte, als wenn ständig Gewehrkugeln durch sein Arbeitszimmer sirrten, das ist genau das Moment, das ich auch heute noch am meisten mit seinem Schreiben verbinde. Das wichtigste für ihn war, den richtigen Einstieg in die Geschichte zu finden, dann folgte alles weitgehend dem groben Plot, wobei ich nicht sagen will, dass nicht jederzeit alles möglich war. Er schrieb so, dass es später kaum Korrekturen gab.

Wallon: Im Lauf der Jahre wurden Romane in ALLEN deutschen Heftromanverlagen veröffentlicht. Es gab kaum eine Reihe ohne U.H. Wilken-Titel. Das spricht doch für die gute Qualität, oder?

Wilken: U.H. Wilken war für ihn selbst so etwas wie ein geschütztes „Gütesiegel“, an das kein anderer Autor so leicht heranreichte. Es gab natürlich auch G.F. Unger, den er als soliden Handwerker bezeichnete, die Romane blieben ihm jedoch fremd, waren ihm zu oberflächlich. Er wurde häufig gefragt, was er von diesem oder jenem „Kollegen“ hielte. Er sagte dann regelmäßig, dass er sich mit keinem von ihnen länger aufgehalten habe, um die Höflichkeit zu wahren. Aber er durchschaute ihre kleinen Finten, Oberflächlichkeiten, Tricks. Vielen fehlte die Vorstellungskraft oder das Talent oder gleich beides. Bei U.H. Wilken macht der Held – wie in den großen Epen – eine oder mehrere Wandlungen durch, er ist am Ende ein anderer geworden, bei G.F. Unger hingegen freut sich der Held, dass er noch der „alte“ ist, der Gaul parkt wieder vor der Tür, die Frau sitzt vorm Kamin, trautes Heim, Glück allein, könnte man sagen. Aber so war das Leben in seinen Augen nicht.

Wallon: Andererseits bedeutet das aber auch, dass Ihr Vater ein sehr langes Arbeitspensum gehabt haben muss. So viele Romane in dieser Zeit zu schreiben, bedeutete sicher ein großes Maß an Disziplin?

Wilken: Ich habe erst sehr viel später begriffen, was er wirklich geleistet hat. Es gab, abgesehen vielleicht von Simenon, keinen Autor, der annähernd so produktiv war, besonders was diesen Ehrgeiz angeht, den gesamten Buchmarkt in seiner jeweiligen Sparte komplett zu beherrschen, ja anzuführen. In der Gesamtschau bleibt ein unvergleichlicher Kosmos an Romanen zurück, die allesamt seine ganz unverwechselbare Handschrift tragen, welche sie unter 100 Autoren wiedererkennen können.

Wie Simenon, konnte er nicht viel länger als zehn Tage mit seinen Figuren „leben“. Die Story musste in einem Zug runtergeschrieben werden, damit Stimmigkeit und Atmosphäre nicht litten. Er ging dann richtiggehend in „Klausur“, nichts durfte den Schreibprozess gefährden. Seine Disziplin war in der Tat beeindruckend. Er wusste dabei sehr genau, was er wollte und wie er dahin kam.

Wallon: Irgendwann erschienen in der Reihe SILBER WESTERN des Zauberkreis-Verlages die ersten Dan Oakland-Romane. Kurze Zeit später gab es bereits eine eigenständige Serie, und es folgten später noch weitere Einzelromane im SILBER-WESTERN. Wie ist Dan Oakland entstanden, und welchen Stellenwert hatte die Serie für Ihren Vater?

Wilken: Natürlich einen sehr hohen, er hatte immer so etwas machen wollen, ging sehr lange mit der Idee „schwanger“, bevor es dann endlich soweit war. Mitentscheidend war, dass Verlag und Lektor voll mitzogen, begeistert von der Idee waren. Die waren schon „Fans“ der Serie, bevor er den ersten Dan Oakland überhaupt abgeliefert hatte. So kam es auch zu dieser kongenialen Zusammenarbeit mit dem Zeichner Lonati. Mein Vater skizzierte die Titelbilder nach seinen Vorstellungen selbst und Lonati setzte dann das, was er da von ihm bekam, wunderbar um. Besser kann´s nicht laufen.

Wallon: Dan Oakland hat damals auch Themen behandelt, die völlig neu im Heftromanbereich waren. Welche Quellen hat Ihr Vater verwendet, und wie kam er an entsprechende Informationen? Es gab ja bekanntlich auch mal eine Zeit vor dem Internet. Umso schwieriger stelle ich mir das vor.

Wilken: Ich möchte an dieser Stelle einmal aus einem Brief vom 04.03.1983 an seinen Lektor Gerald Kraft vom Zauberkreis-Verlag zitieren, wo er sehr genau beschrieben hat, worauf es ihm ankam:

„…. herzlichen Dank für das geliehene Buch „Comanchen“! Damit werde ich viel anfangen können. Im großen und ganzen möchte ich die Indianer über Prärien streifen lassen, den Wind der Savannen erzählen lassen, das Rot der Sonne an milden Sommerabenden und die alten Legenden, da kein Axtschlag die Stille der Wälder störte, da der Weiße noch fremd und der Schwarze ein seltsames Wesen war. Ich möchte die Dürre schildern, den Staub, die Hitze, den Sturm, aber auch den Regen und die fernen dunklen Massen der dahinziehenden Büffel. Und wenn dann einmal ein rollendes Tipi (Planwagen) über die Ebene zieht und am Horizont versinkt, dann erscheint es wie ein merkwürdiges und fremdes Ereignis. Ich möchte die Indianer unter sich als völlig natürlich beschreiben. Sie können also fluchen, hassen, wild werden, zotige Witze machen (darin sollen sie ganz groß gewesen sein). Natürlich sollen diese Western keine Kinderbücher sein. Es muss rau und wild zugehen, bissig, manchmal widerwärtig, schmutzig, aber dann auch wieder edel, rein, gütig.

U. H. Wilken | Die Feuertaufe |
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Ich setze mir da selber Maßstäbe vor die Nase, nur weiß ich noch nicht, wie ich es packen werde. Wenn ich mit dem Schreiben beginne, versetze ich mich in diese Welt – und dann kann alles Mögliche passieren – aber Sie, Herr Kraft, haben ja einen schönen dicken Rotstift. Versuchen will ich es jedenfalls, meinen neuen Stil einzusetzen und dabei auch ein wenig nur episch zu sein, also in Farben zu rühren, nicht zu schwelgen. Zumindest bin ich schon schwanger. Die Geburt des ersten Western wird es zeigen. Wahrscheinlich starte ich Ende März/Anfang April mit Nr. 1.“

Es ging damals um das Projekt „Feueradler“, welches die in Dan Oakland bereits angelegte Saga konsequent weiterführen sollte, diesmal jedoch ausschließlich nur aus der Sicht der wahren Amerikaner: der stolzen Indianer, denen man das Land gewaltsam weggenommen hatte.

Mein Vater stand in regem Austausch mit verschiedenen amerikanischen Universitäten, die allesamt ein außergewöhnlich hohes Interesse an der Thematik zeigten. Das Internet hätte er sicherlich kaum als geeignet angesehen, um an die wirklich interessanten Themen und Informationen zu gelangen.

Wallon: Eine ähnlich positive Resonanz, wie die Dan Oakland-Romane, hatten auch die Romane mit ZURDO. Im Gegensatz zu Dan Oakland erschienen diese Romane alle vier Wochen innerhalb der Reihe Marshal-Western des Pabel-Verlages. Auch hier gab es wieder ein Alleinstellungsmerkmal, denn zu dieser Zeit gab es keine andere Romanfigur mit einem ähnlichen Charakter. Wissen Sie noch, wie es zu der Idee mit dieser Figur kam?

Wilken: Es war wiederum dieses Interesse für vermeintlich randständige, marginale Themen, die den gängigen Klischees nicht entsprachen, die üblichen Vorurteile nicht bedienten. Er wollte mehr „hinter die Dinge schauen“. Es verärgerte ihn maßlos, dass die weißen Amerikaner die Mexikaner – wie auch die indianische und schwarze Bevölkerung – als Menschen „zweiter Klasse“ behandelten. Sie wurden überall benachteiligt, bekamen nie eine wirkliche Chance. Trump ist der neuzeitliche Repräsentant dieser menschenverachtenden Haltung, er erinnert ein wenig an den schmierigen Mr. Willowbee in Das entgötterte Land.

Mit Zurdo stellte mein Vater das Klischee auf den Kopf: der Mexikaner, der sonst allenfalls nur den „Pausenclown“ in irgendwelchen B-Movies mimen durfte, war plötzlich der reine, edle Held, der sich wie Robin Hood für die Rechte der Unterdrückten einsetzte. Diesmal waren die feisten Texaner bezeichnenderweise die Schurken und die rassigen Mexikaner die ihnen bei weitem überlegenen Kämpfer für das Gute. Darüber hinaus konnte er seine jugendliche Vorliebe für Mantel-und-Degen-Romane ausleben. Er verehrte lange Errol Flynn, auch was dessen späteren Alkoholkonsum anging.

Wallon: Natürlich wollen wir auch CHEYENNE nicht unerwähnt lassen. Ich weiß, dass Ihr Vater diese Figur immer favorisiert hat und dass sie eine ganz besondere Faszination auf ihn ausübte. Bis heute gibt es keine separate Serie mit chronologisch erfassten Romanen. Das sollte man ändern, wie ich meine. Erzählen Sie uns doch bitte etwas zur Entstehung dieses Helden.

Wilken: Ihre Frage führt uns wieder an den Anfang unseres Gesprächs zurück. Cheyenne kommt aus dem Nichts und verschwindet wieder im Nichts. Er ist „Der große Fremde“, so der Titel eines Romans.

Dazwischen ereignet sich etwas, Cheyenne lässt sich ein, greift ein, und verschwindet dann spurlos. Er hat alle Merkmale eines echten Helden, denn er will nichts für sich. Aber er hat Prinzipien. Und Indianerblut. Auch er geht dem dunklen Geheimnis seiner Identität nach, steht außerhalb der Norm, aber er ist mehr noch als Dan Oakland ein einsamer Solitär, denn er flieht die Gemeinschaft. Er schrieb die Cheyenne-Romane – wie alle seine anderen Romane auch – nicht aus „Folklore“. Er war kein „Western-Romantiker“, das interessierte ihn nicht. Er schrieb sie, weil er etwas über den Menschen herausfinden wollte, weil er fasziniert war von diesem „Amerika seiner Seele“, um es mit Walt Whitman zu sagen. Er fühlte sich nicht zugehörig zum Bezugsrahmen der anderen deutschen Autoren, teilte nicht ihr Denkweisen, war nicht an irgendeinem Austausch interessiert. Auch Interviewanfragen wies er meist höflich zurück. Er war ein Autor vom Schlage eines Raymond Chandler oder Dashiell Hammett, dem in den USA sicherlich noch eine ganz andere Dimension des Erfolges zuteil geworden wäre, vielleicht auch als Drehbuchautor an der Seite von Arthur Penn oder Sam Peckinpah. Auch William Faulkner schrieb phasenweise für Hollywood.

Wallon: Zuletzt hat Ihr Vater schwerpunktmäßig für den Marken Verlag gearbeitet und zusammen mit Werner Dietsch, dem damaligen Chefredakteur. Aber nachdem der Marken-Verlag seine Tätig-keit einstellte, gab es nur noch vereinzelte Wilken-Titel im Programm anderer Verlage. Ihr Vater hat einmal gesagt, dass er sich von den Verlagen ausgebeutet fühlte und dass er dies nicht länger mitmachen wolle. Deswegen beendete er seine Laufbahn als Westernautor. An welche Details erinnern Sie sich noch?

Wilken: Über die Hintergründe ist viel spekuliert worden, dabei ist die Sache relativ leicht verständlich, wenn man sich die damalige Situation vor Augen führt. Mein Vater verdiente im Vergleich zu heutigen Autoren unglaublich gut. Er sprach nie über Geld, aber ich habe später Verträge gefunden, die regelmäßig Honorare von 3.000 bis 4.500 DM pro Roman auswiesen. Wenn Sie bedenken, was die DM in den sechziger und siebziger Jahren wert war, dann ist das eine ganze Menge, von den weltweiten Übersetzungen seiner Romane gar nicht zu reden: er musste sich praktisch nie mehr Gedanken über Geld machen, als der Erfolg kam. Er hatte den Traum eines jeden Autoren wahr gemacht: er war Bestsellerautor, seine Romane erschienen in Millionenauflagen. Was bekommen Sie heute für einen Roman? Richtig: fast nichts, im Vergleich dazu. Das kam daher, dass ein Westernautor damals einen völlig anderen Stellenwert hatte. Die Romane wurden ihm sozusagen aus der Hand gerissen, kaum dass er einen fertig hatte. Aber dann zog Anfang der 80er Jahre ein ganz anderer Stil in die Verlage ein, die Honorare wurden zu Lasten auch der ernsthaften Autoren soweit heruntergerechnet, dass sich das Schreiben eigentlich nicht mehr lohnte, wenn man in den Dimensionen meines Vaters dachte. Man begann ihm von Lektoratsseite vermehrt reinzureden, wollte ihn auf DIN-Format zurechtstutzen. Mein Vater ließ sich auf das Spiel nicht ein.

Wallon: In den letzten Jahren vor seinem Tod wurde es still um U.H. Wilken. Was hat er zuletzt noch gemacht? Hat er das Schreiben vermisst, oder lag dieses Kapitel endgültig hinter ihm?

Wilken: In seinen letzten Jahren ging er zunächst nach Spanien, denn nach Marokko, wo er nur über ein Postoffice zu erreichen war. Wir hatten zu jener Zeit wenig Kontakt. Bei seinen Sachen fand sich später ein Polaroid, das er nur wenige Wochen vor seinem Tode in der Nähe von Marrakesch aufgenommen hatte. Es wurde auf einem von diesen marokkanischen Booten aufgenommen, welche die Fischer dort verwenden, fast eine biblische Barke. An Bord sieht man einige marokkanische Männer mit stark verwitterten Gesichtern, alle in langen bunten Gewändern, mit Turbanen. Die Barke entfernt sich von einer flirrend heißen Küste, vor der einige Tanker festliegen, fünf oder sechs. Ich habe keine Ahnung, was er da machte, bei diesen Menschen, ich kann nur sagen: er suchte immer wieder solche extremen Erfahrungen, war noch lange nicht fertig mit der Literatur als solcher. Sagte mir irgendwann, dass er etwas ganz anderes schreiben wolle. Was, werden wir wohl nicht mehr erfahren, aber Sie können es zwischen den Zeilen seiner Romane erahnen, besonders, wenn Sie Cheyenne und Dan Oakland lesen.

Wallon: Es gibt nicht viele Westernautoren, von denen man sagen kann, dass man sie an ihrem Stil sofort erkennt. Das gilt für alle Pseudonyme, unter denen Ihr Vater geschrieben hat – also nicht nur U.H. Wilken, sondern auch Les Willcox oder Colin Scope. Wenn man so ein Erkennungs-merkmal aufweisen kann, dann ist das schon eine besondere Auszeichnung, oder? Auch die Romane außerhalb des Westerngenres (Krimis, Abenteuer, Horror) waren bei den Lesern beliebt.

Wilken: Nach sogenannten „Alleinstellungsmerkmalen“ zu forschen, heißt ja im Grunde außerliterarische Kriterien zu bemühen, um hinter das Geheimnis eines „Stils“ zu kommen. Stil ist aber ja keine Parfümmarke, die man irgendwo käuflich erwerben kann. Stil ist das Produkt von Unabhängigkeit und Individualität, also Ausdruck der ganzen Persönlichkeit, und genau das geht heute im Zuge des grenzenlosen Massenkonsums immer mehr verloren. Man könnte auch sagen: Stil ist Ausdruck eines inneren Gesetzes, einer besonderen Haltung. Wenn man Dan Oakland oder Cheyenne liest oder aber auch einen John Ford-Western wie Rio Grande sieht, versteht man dies sofort intuitiv.

Wallon: Jetzt wären wir an der Stelle, wo Sie all das sagen können, was noch erwähnenswert wäre.

Wilken: Oh, da wäre sicher noch einiges zu sagen, aber das hat mein Vater in seinen Romanen viel besser getan, indem er es wie nebenbei miteinfließen ließ. Ich freue mich natürlich sehr darüber, dass die Dan Oakland-Story nun zum ersten Mal wieder mit den Original-Covers von Lonati erscheint. Kein anderer amerikanischer – und besonders kein deutscher – Autor hat jemals etwas geschaffen, das mit diesem groß angelegten amerikanischen Romanzyklus vergleichbar wäre: mehr als 82 Romane für eine fortlaufende Story, die sich nur um einen einzigen Helden dreht, der sich in den Wirren seiner Zeit auf den Weg macht, um – zwischen Rot und Weiß – etwas über den Menschen an sich herauszufinden, dem dunklen Geheimnis seiner Freiheit und Identität auf den Grund zu gehen.

Ich wünsche allen Fans und neuen Lesern viel Freude beim Entdecken und Wiederentdecken, wenn sie sich in diesen großen Erzählstrom „einloggen“ und Dan Oakland von November 2020 an auf seinem Trail durch eines der spannendsten Kapitel der amerikanischen Geschichte folgen werden…

Wallon: Ich bedanke ich mich bei Ihnen für die Zeit, die Sie sich genommen haben.

Die ersten vier Bände der neuen Reihe Dan Oakland Story sind im Shop des BLITZ-Verlags erhältlich.