Kürzlich ist Michael Tillmanns Erzählband „Der König von Mallorca‟ im BLITZ-Verlag erschienen. Im folgenden Interview verrät uns der Autor, wie es zu dem ungewöhnlichen Titel kam, welche Musik ihn bei seiner Arbeit inspiriert und was er über den Umgang der Gesellschaft mit Kindern während der Pandemie denkt.
BLITZ: Beim „König von Mallorca‟, der ihrem Erzählband den Namen gibt, handelt es sich – Vorsicht, Spoiler! – nicht um den vielleicht unter diesem Adelstitel zu erwartenden Schlagersänger. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Buchtitel für einen Sammelband mit Horrorgeschichten?
Tillmann: Es hoffe, die Antwort wird Sie nicht enttäuschen. Ich verbrachte meinen Urlaub 2019 erstmalig auf Mallorca. Und was macht ein Horror-Autor, wenn er am Strand liegt? Richtig, er denkt über post-apokalyptische Gesellschaften nach. Ich kam dabei zu dem Schluss, es ist ziemlich sinnlos, wenn man solche Geschichten zum Beispiel in den Trümmern von New York oder Gelsenkirchen spielen lässt. Neue Gesellschaften (egal ob positive oder negative) würden sich zuerst dort bilden, wo eine Population die Möglichkeit zur Separation vom Rest der Menschheit hätte. Schon Darwins Finken zeigten uns, Inseln sind ideal für eine Separation. Warum dann nicht direkt der Deutschen Lieblingsinsel nehmen?

Was den phantastischen Teil der Story angeht, so wollte ich schon immer mal eine Erzählung schreiben, bei der die Sonne eine wichtige Rolle spielt, denn sonst spielen ja 90 % aller Geschichten in diesem Genre in der Finsternis bzw. unter dem Licht des Mondes. Auch so gesehen war Mallorca als Mekka der Sonnenanbeter perfekt. Dieser Gegensatz zwischen Sonneninsel und Phantastik ist so interessant, dass er sich gut als Buchtitel macht.
BLITZ: Ihre Geschichten spielen im Wilden Westen und dem Ruhrgebiet, sind teilweise Erstveröffentlichungen und teilweise Wiederveröffentlichungen von Beiträgen aus Fantastikzeitschriften, sie handeln von Bürokaufmännern, Zauberkünstlern und Zombies. Gibt es trotz dieser Vielseitigkeit einen roten Faden, der die Geschichten miteinander verbindet?
Tillmann: Ja, in der Regel kennen meine Geschichten keinen Eskapismus. Irgendwie schwingen immer die Sorgen und Probleme des realen Lebens mit.
BLITZ: Es schaut so aus, als wurden Sie von den klassischen Autoren des Genres beeinflusst und vielleicht sogar dazu motiviert, selbst Autor zu werden. Gibt es darüber hinaus noch Autoren oder Literaturbereiche, in welche Sie in Zukunft gerne noch tiefer eindringen wollen, aber bis jetzt dafür noch nie die Zeit gefunden hatten?
Tillmann: Ich möchte, wenn zeitlich möglich, tiefer in die japanische Literatur einsteigen. Wobei es natürlich keine Überraschung ist, dass ich zuerst mehr von Murakami Haruki und Abe Kobo lesen will. Mein erneutes Interesse an japanischen Schriften kam auf, als ich auf die zweischneidige Person Mishima Yukio und sein „Der goldene Pavillon“ gestoßen bin. Mishima war auf der einen Seite durchaus ein feiner „Poet“, der darunter gelitten hat, glaube ich, dass er nicht wusste, wie er z.B. mit Nachfragen zum Thema Homosexualität umgehen sollte. Auf der anderen Seite hat er 1970 rituellen Suizid durch Ausweiden begangen, als sein Putschversuch beim japanischen Militär auf taube Ohren stieß. Mishima wollte das Kaisertum wieder an die wirkende Spitze des Staates setzen. Was für eine wahnsinnige Geschichte. Ich glaube, diese Art von realem Horror gibt er wohl nur in Japan. Ein anderer Punkt ist der hohe Ästhetisierungsgrad der japanischen Kultur, der bemerkenswert ist. Und außerdem würde ich gerne mal in einem verschneiten, japanischen Bergdorf in einem Onsen-Bad sitzen und mir unheimliche Geschichten ausdenken.
BLITZ: Welche Musik beflügelt Ihre Kreativität?
Tillmann: Ab und zu höre ich beim Schreiben Soundtracks von Horror-Filmen. In der Regel höre ich dabei aber Doom- insbesondere Funeral Doom Metal. Es handelt sich bei Funeral Doom Metal um die langsamste und finsterste Spielart des Metal. Funeral ist quasi (ganz vereinfacht gesagt) für den Metal das, was der Trauermarsch für die Klassik ist. Andere Leute hören Death Metal weil sie es hart uns schnell lieben. Aber ich persönlich finde Funeral ist genau das Richtige zum Schreiben von Phantastik, weil es quasi wirkt wie eine Mischung aus Metal und dunkler Meditationsmusik. Klar, man kann sich das nur schwer vorstellen. Die Stücke sind zwischen zehn Minuten und einer Stunde (z.B. die frühen Alben von Monolithe) lang und nach wenigen Minuten fühlt man sich wie in Trance. Es geht weiter und immer weiter. Die Finsternis kennt kein Ende. Die Menschheit ist unbedeutend und nichtig im Spiel des Kosmos. Das hat fast etwas Spirituelles.

Die wohl bekannteste Funeral-Band ist die deutsche Formation Ahab. Ahab stehen nah an der Phantastik, da sie neben Moby Dick auch William Hope Hodgsons „The Boats of the ‚Glen Carrig’“ vertont haben. Auch sehr gut sind Pantheist („Amartia”), The Howling Void („Shadows over the Cosmos”) und Funeral („From These Wounds”). Name dropping is geil.
BLITZ: Sie bezeichnen das Genre Ihrer Geschichten als „Heavy-Metal-Phantastik‟. Was darf man sich unter dieser ungewöhnlichen Genrebezeichnung vorstellen?
Tillmann: Auf thematische Ähnlichkeiten habe ich ja schon in der letzten Antwort hingewiesen. Aber darüber hinaus wird Sie jetzt die nachfolgende Antwort sehr überraschen:
Ich bin mir im Moment nicht sicher, ob ich diese Genre-Bezeichnung beibehalten soll, denn die Metal-Szene hat mich in den letzten Monaten sehr enttäuscht. Gerade Metal-Künstler schwätzen immer gerne ständig von Charakterstärke, Kritik an gesellschaftlichen Missständen, Freiheitsliebe, Individualität etc. etc. etc. Aber kaum ist mal Krise, da traut sich kaum einer eine offene Diskussion zu führen und/oder eine andere Meinung als der Mainstream zu haben. Aber letztlich trifft solches auf 95 % aller Künstler dieser Welt zu. Nur bei den Metal- und auch Punk-Leuten tut es halt besonders weh. Es ist ein erbärmliches Gefühl. Sonst haben Künstler zu jedem Mist etwas zu sagen, greifen nach jedem Mikrophon, aber jetzt kommt kaum was.
Ein Künstler, der keine kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft sucht, ist kein Künstler sondern bestenfalls ein Kunsthandwerker.
BLITZ: Wie haben Sie die letzten beiden Jahre erlebt? Hatten Sie mehr Zeit und Muße zum Schreiben oder hat die Ära Covid Ihre Kreativität eher ausgebremst?
Tillmann: Es gab keine Muße. Die Zeiten waren sehr ereignisreich. Es ist ein Wunder, dass ich die Zeit für das Buch bei BLITZ gefunden habe. Aber das habe ich auch schon vorher angefangen. Während meiner Arbeit daran kamen noch mehrere Anthologie-Anfragen, die ich leider absagen musste. Besonders interessant, die Sachen rund um das Magazin „Daedalos“ und Hubert Katzmarz. Ich bedauere das wirklich sehr.
Ich bin nämlich gegen Ende 2020 erstmalig Vater geworden. Ich lebe in einer Familie mit mehreren Kindern. Und mich hat das kalte Grauen gepackt, als ich sehen musste, dass allgemein die Jugendlichen und Kinder in vielerlei Hinsicht die größten Verlierer dieser Pandemie sind. Was ist das für eine Gesellschaft, die nicht die Kinder an die allererste Stelle stellt?
Zu Kindern in der Zeit von Corona findet man z.B. was auf www.sos-kinderdorf.de
Und man beachte die mangelnde Immunisierung von Kindern in den letzten zwei Jahren z.B. gegen RSV: https://www.zdf.de/politik/frontal/rs-virus-fuellt-kinderkliniken-100.html
Daran und an anderen Punkten gilt es Kritik zu üben, selbst wenn man brav doppelt geimpft ist wie ich. Doch was ist mit unserer demokratischen Streitkultur los? Jeder der Kritik an einzelnen Maßnahmen oder gar an einzelnen Politikern übt, wird direkt in die Leugner-, Verschwörungstheoretiker- und Nazi-Ecke gestellt. Glauben die Leute, die so agieren wirklich, damit etwas Gutes zu tun? Merken sie nicht, wie sie durch diese Ausgrenzung leider nur militanten Kräften in die Hände arbeiten? Sie wollen den Teufel austreiben, aber sie geben der Aggression nur Futter. Bitte gießt nicht noch mehr Öl ins Feuer!
Menschen ausgrenzen ist halt Mode. Das deutsche Phantastikforum kommt scheinbar mit fremden Mentalitäten nicht klar. Ob die Leute dort wohl realisiert haben, dass sie, als sie mich wegen „Störung der Harmonie“ (QUOTE) rauswarfen, genau der Logik von „safe spaces“ folgen, die ja auch alle nach Harmonie streben? Man kann es nicht wissen. Ich habe gehört, man hat sogar die Diskussion der anderen Mitglieder über meinen Ausschluss unterbunden. Traurig, traurig!
Das Thema wokeness/political correctness sollte auch der BLITZ-Verlag genau beobachten. Denn es gibt Menschen, die u.a. auch das Wort Indianer als der Literatur streichen wollen, was sich für einen Verlag, der ein Standbein in klassischen Western hat, natürlich ziemlich abstrus anhören muss, denke ich.
BLITZ: Was stört Sie am meisten an der deutschen Phantastik-Szene?
Tillmann: Wenn Leute eine unklare Vita ins Buch drucken. Oft wird nicht klar, wovon der Autor eigentlich wirklich lebt. Es wird der Eindruck vermittelt, man wäre freiberuflicher Künstler, selbst wenn man das nur als Hobby macht. Das ist irgendwie nicht meine Herangehensweise.
BLITZ: Man könnte meinen, Ihnen ist die ganze Welt zu brav geworden?
Tillmann: Genauso ist es. Zu brav, zu mega-moralisch, zu neu-spießig, zu sozialpädagogisch und damit zu langweilig.
BLITZ: Vielen Dank für das offene Gespräch!
Michael Tillmanns Erzählband „Der König von Mallorca‟ ist im Shop des BLITZ-Verlags erhältlich.