Seit ca. 40 Jahren schreibt der Autor Leslie West Westernromane. Im Mittelpunkt der Handlung steht stets ein gewisser Kit Carson. Alfred Wallon, ebenfalls Autor zahlreicher Western, sprach mit West über die Romanfigur, wie viel sie mit dem historischen Kit Carson gemein hat und wie West zu seinem neuesten Carson-Roman „Ein Eden für Männer“ inspiriert wurde.
Wallon: Bei der Thematik „Schwules Leben im Wilden Westen“ denken viele Freunde und Kenner des Western-Genres an „Brokeback Mountain“, eine erfolgreich verfilmte Erzählung von Annie Proulx. Waren Erzählung und Film Anregung für den Roman „Ein Eden für Männer“?
West: Ganz und gar nicht. Ich habe die Erzählung gelesen, sie ist sehr beeindruckend. Ich mag nur nicht, wenn was schlecht ausgeht. Deshalb habe ich mir nach dem Lesen den Film nicht mehr angeschaut.
Wie schon bei meinem ersten Kit Carson-Buch für den BLITZ-Verlag, „Das Königreich im Michigansee“, war ich auf der Suche nach einem originellen Stoff, der im Western noch nicht breitgetreten worden ist. Ein Königreich im freien Amerika – davon hatte ich vorher nie gelesen. Ich konnte den historischen Hintergrund optimal mit Figuren verknüpfen, die in früheren Romanen von mir eine Rolle gespielt hatten.

Leider erinnere ich mich nicht mehr genau, wann und wie ich zum ersten Mal auf den Namen William Drummond Stewart gestoßen bin, der in „Ein Eden für Männer“, meinem zweiten Roman für den BLITZ-Verlag, neben Kit Carson die Hauptrolle spielt. Aber wie bei „Michigan“ klingelte dabei etwas in meinem Hinterkopf, und ich wusste: Das ist ideal für deinen nächsten Roman.
Wallon: Also überhaupt keine Analogien zu „Brokeback Mountain“?
West: Überhaupt nicht. Und wie gesagt, ich mag kein trauriges Ende. Von dem Erfolgsautor (meist) historischer Western Novels, Larry McMurtry, der am Drehbuch von „Brokeback Mountain“ beteiligt war, stammen allerdings „The Berrybender Narratives“. Und in dieser Tetralogie spielt William Drummond Stewart, dessen Name ich vorher niemals in einem Western gelesen habe, ebenfalls mit! Reiner Zufall, doch erwähnenswert. Dass auch Kit Carson darin vorkommt, habe ich vor Abfassen meines Romans ebenfalls nicht gewusst. Beide kannten sich ja auch in Wirklichkeit und haben sich in hinterlassenen Aufzeichnungen gegenseitig erwähnt.
Wallon: Figuren aus früheren Romanen – muss man die kennen, um die neuen Bände beim BLITZ-Verlag zu verstehen?
West: Selbstverständlich nicht, die Handlungen sind in sich abgeschlossen. Aber es ist nun mal so, dass ich seit über 40 Jahren fast ausschließlich Romane mit meiner Hauptfigur Kit Carson schreibe. Da sind im Lauf der Jahre etliche Nebenfiguren hinzu gekommen, auf die ich immer wieder gern zurückgreife.
Wallon: Beide Romane für den BLITZ-Verlag behandeln historische Ereignisse bzw. Persönlichkeiten. Kit Carson selbst, merkt der fundierte Leser schnell, entspricht in seinem Erscheinen jedoch überhaupt nicht seinem historischen Vorbild.
West: Zugegeben, da wird es schwierig. Wie kann ich das rechtfertigen?
Es ist gut 50 Jahre her, dass Westernserien in Deutschland noch ungeheuer erfolgreich waren, u.a. als TV-Serien, als Taschenbücher und als Romanhefte.
Die Figur Kit Carson lernten wir Buben damals aber ausschließlich als Comic kennen. Seine vielen hundert Abenteuer im englischen Fleetway Verlag erschienen in Deutschland auszugsweise bei Semrau und Lehning: ein blondmähniger Draufgänger mit Fransenjacke und zwei Revolvern. Aus Italien kam ein anderer Kit Carson, grauhaarig, mit Oberlippen- und Spitzbart, der seit über 70 Jahren an der Seite von “Tex” reitet, wovon bei uns zunächst acht Bände „Tex Willer“ im damaligen Bildschriftenverlag erschienen. Auch der trug Fransen und schoss schnell. Zuvor war man vielleicht noch einer früheren italienischen Variante begegnet, einem Glatzkopf mit Riesenschnurrbart. Oder dem ziemlich historischen in einer Ausgabe der „Illustrierten Klassiker“, der im wirklichen Leben von sehr bescheidener Körpergröße war und kaum lesen und schreiben konnte.
„Kit Carson“ hatte also viele Gesichter! Aber der Name klang sehr attraktiv, den musste ich „haben“. Was freilich kein Grund war, den historischen Hintergrund nicht zu integrieren.
Mein „erster“ Kit Carson bekam die blonde Mähne und die Fransenjacke der englischen Variante, war hochgewachsen, bei mir bereits jenseits der Fünfzig, hatte ebenfalls den Oberlippen- und Spitzbart seines italienischen Vorbilds. Er trat ja neben eigenen Romanen auch in Deiner Serie über die Rancherfamilie Calhoun auf, an der Du bis heute schreibst, und damit sogar noch länger als ich an Kit Carson.
Mein „zweiter“ Kit Carson war über 30 Jahre jünger und hatte überhaupt keinen Bart. Aber beide waren dieselbe Person und sind es bis heute.
Wallon: Das mag manchem Leser aufstoßen: Historischer Anspruch an die Handlung, aber die Hauptfigur entspricht nicht dem realen Vorbild.
West: Sagen wir so: Der historische Hintergrund muss stimmen. Beim Lesen soll interessantes, spannendes und ungewöhnliches Wissen als Gewinn „nebenbei“ mitgenommen werden, ohne dass der Roman dadurch zu langatmig gerät (was mir nicht immer gelingt). Mein „Held“ – das ist er wohl – soll nicht irgendwelchen geschichtlichen Ereignissen ohnmächtig ausgeliefert sein, sondern sich in einer freien Handlung entfalten können. Als Persönlichkeit ist er weltoffen, vorurteilsfrei, aufgeschlossen und neugierig auf Neues. Der echte Kit Carson hatte eine natürliche Begabung für Fremdsprachen, meiner kann sie zusätzlich noch lesen.

Und zugegeben, ich bin auch Romantiker, deshalb die vielen Landschaftsbeschreibungen und die unverbrüchlichen Freundschaften. „Mein“ Kit Carson ist die Figur, die ich genau so so am liebsten bei einem anderen Autor gelesen hätte.
Wallon: Ist der Autor selbst schwul?
West: Der Roman war die reinste Versuchung!