Frisch erschienen in der BLITZ-Reihe „Western Legenden“ ist in diesem Frühjahr der Roman „Mexiko Marshal“, der erste Auftritt des Ex-Sheriffs und Einzelgängers Jake Gutterson. Der Autor Alex Mann erzählt uns zu diesem Anlass, was ihn so an Italowestern fasziniert, was seinen Protagonisten Gutterson ausmacht und ihn von anderen Wild-West-Helden unterscheidet …
BLITZ: Woher kommt Ihre Freude für das Western-Genre? Welche Autoren haben Sie beeinflusst?
Mann: Die Liebe zum Western hat sich bereits in frühester Jugend entwickelt, allerdings eher für den Film als für die Literatur, da habe ich erst sehr spät einen Zugang zum Genre gefunden. In meiner Kindheit war der Western in Film und Fernsehen durchaus präsent. Damals liefen alte Serien wie „Bonanza“ noch auf den bekannten Fernsehsendern und Kevin Costner hatte gerade seine große Zeit. „Silverado“, „Wyatt Earp“ und „Der mit dem Wolf tanzt“ haben mich schon damals fasziniert, ohne dass sich darüber allerdings eine besonders intensive Beziehung zum Western an sich entwickelt hat. Das kam dann relativ plötzlich, als ich etwa 17, 18 Jahre alt war und die Filme von Sergio Leone für mich entdeckt habe, aus der dann eine doch sehr intensive Liebe zum Italowestern erwuchs. Wie so viele Italofans hatte ich zunächst Vorbehalte gegen den „sauberen“ Cowboy-Western amerikanischer Herkunft, die ich aber dann Gottseidank überwunden habe. Mittlerweile mag ich beide sehr. Der Zugang zum Western als Literatur erfolgte dann noch später. Es fing mal mit irgendeinem Kelter Sammelband an, der mich aber ebenso wenig vom Hocker gehauen hat wie ein Konvolut G. F. Unger Romane, die ich mir dann mal bei eBay geschossen habe. In der Regel waren da die Cover das beste …
Dann fing ich an, die Romanvorlagen für bestimmte Western zu lesen. Angefangen hat es mit Louis L´Amours „Hondo“, den ich richtig gut fand, ebenso, wie meinen zweiten L´Amour Roman „Sein letztes Spiel“. Mittlerweile habe ich vielleicht vierzig L´Amour Romane gelesen und finde, dass sich bei ihm viel wiederholt. Über „Destry reitet wieder“ kam ich zu Max Brand, den ich heute noch mit am unterhaltsamsten finde, allerdings ohne dass er wirklich einen Einfluss auf meine Art zu schreiben hatte. Um ganz offen zu sein, finde ich die meisten Western-Autoren als Literaten eher mittelmäßig. Sie mögen handwerklich gut sein – L´Amour, Brand, Grey oder von den deutschen Autoren Rex Hayes oder U. H. Wilken können schon flüssig schreiben -, aber in den allermeisten Fällen arbeiten sie mit zu eindimensionalen Figuren und vor allem viel zu verkitschten Liebesgeschichten. Die große Ausnahme ist hier für mich Elmore Leonard, der eben mehr als nur ein Schreibhandwerker war, der lebendige Figuren und coole Dialoge verwendet hat – und das zu Zeiten, als auch L´Amour, Unger und Co geschrieben haben. Es ist also keine Frage der Generation. Meine Geschichten haben sich dann doch eher eigenständig entwickelt, wobei Figuren und Versatzstücke aus Filmen einzelne Arbeiten eher beeinflusst haben als Westernliteratur. Von Leonards zehn Schreibregeln habe ich mir zwei verinnerlicht. Nie einen Roman mit Darstellungen des Wetters beginnen und direkte Rede nie mit anderen Verben als „sagte“ einzuleiten. Letzteres lässt sich im Deutschen nicht immer vermeiden – hier funktioniert Sprache einfach anders – aber ich habe sie immer im Hinterkopf und versuche zu vermeiden, dass mein Stil unnötig blumig wird.
BLITZ: Stimmt es, dass Sie ein großer Freund der Italo-Western der 1960er sind? Was macht Ihrer Meinung nach die Faszination dieser Filme aus und was hebt sie von amerikanischen Western ab?
Mann: Es gibt ja starke Vorurteile gegenüber beiden Formen. Der Italowestern sei brutal, die Helden dreckig und Rache ein zentrales Motiv, amerikanische Western sauber und kitschig. Dabei ist Rache in vielen US-Western von Anthony Mann oder Budd Boetticher ein zentrales Motiv und Jimmy Stewart und Randy Scott tragen da auch ziemlich verstaubte Klamotten. Allerdings unterliegen die Antihelden des Italowestern nicht dem Zwang einer Resozialisierung. Denn darum geht es in den klassischen US-Western bei Außenseiterfiguren: am Ende steht die Reintegration in die Gesellschaft im Vordergrund und es ist die große Besonderheit von John Fords „Der schwarze Falke“, dass diese bei John Waynes Figur scheitert. Im Italowestern unterliegen die Figuren keinem Wandel. Der einsame Rächer bleibt einsam, der Kopfgeldjäger macht seine Beute und verschwindet. Davor gibt es natürlich viel mehr bleihaltige Action und Schlägereien. Der Italowestern ist vor allem ein Actiongenre, das auf Schauwerte ausgelegt ist, was damals wie heute gut ankommt, da gerade in Sachen Brutalität – etwa im Umgang mit Frauen – Grenzen überschritten wurden und die audiovisuelle Gestaltung oft grandios ist. Die Italiener waren sehr kreativ in Sachen Kameraarbeit und die Scores von Komponisten wie Ennio Morricone, Francesco di Massi oder Stelvio Cipriani haben die Zeiten einfach besser überdauert, als die eines Dimitri Tiomkin.
Der amerikanische Western ist dagegen eher ein Thriller, bei dem die Story viel stärker im Vordergrund steht, was aber auch seinen Reiz hat. Der Fokus liegt dadurch mehr auf dem Charakter der Hauptfigur und dem Wandel, den er durchläuft, was natürlich wiederum als Inspiration für Romane interessant ist.
BLITZ: In ihrem Roman „Mexiko Marshal‟ taucht eine neue Hauptfigur auf, der wir nicht zum letzten Mal begegnen werden. Wie entstand die Figur des Ex-Sheriffs Jake Gutterson?

Mann: Meine frühen Western, die zwar erst letztes Jahr bei BLITZ erschienen sind, aber vorher schon eine ganze Weile in einer Schreibtischschublade lagen, weil es einfach keinen anderen Verlag gibt, der gute neue Western herausbringt, haben oft die Freundschaft zweier sehr gegensätzlicher Hauptfiguren zum Thema, etwa „Dreitausend Rinder“, „Die gejagten Zwei“ oder „Der Rodeo-Champion“. Das war und ist natürlich spannend, weil man die Figuren zunächst so gestalten kann, dass der Leser zu beiden Sympathien aufbaut, und dann eine Konfliktsituation schafft.
Jake Gutterson ist hingegen ein klassischer Einzelgänger und wurde sehr stark durch Elmore Leonards Figur Raylan Givens beeinflusst, den ich schon aus seinen Romanen kannte, der aber vor allem von Timothy Olyphant in der Serie „Justified“ extrem cool verkörpert wurde. Was mich an dieser Figur so fasziniert hat, war die kompromisslose Kaltblütigkeit, mit der er sich Konflikten stellt. Er legt es nicht darauf an, dass diese gewaltsam eskalieren, sondern versucht seinen Gegenspieler zunächst davon zu überzeugen, dass seine Lage zwar schlecht ist, aber dass er sie nur verschlimmert, indem er zur Waffe greift. Das alles mit den messerscharfen Dialogen im Elmore Leonard Style. Letztendlich ist auch Raylan Givens ein eher klassischer Westernheld. Mich erinnert er immer etwas an den Marshal, den Henry Fonda in „Warlock“ gespielt hat. Aber diese Art, Spannung zu erzeugen, hat mich begeistert. In den meisten Western, ob bei Unger oder L´Amour, sind derartige Szenen abgenutzt oder vorhersehbar. Der Held wird ständig zu Pistolenduellen oder Schlägereien mit Gegnern von der Statur eines Wladimir Klitschko provoziert und natürlich gewinnt er auch. Das finde ich mittlerweile ziemlich langweilig. Aber einen wortgewandten Helden ins Rennen zu schicken, der seine Gegner zunächst einmal davon zu überzeugen versucht, dass sie ihn besser nicht angreifen, schafft unendlich viele neue Möglichkeiten, Spannung zu erzeugen, die immer wieder um die Frage drehen „Eskaliert der Konflikt jetzt oder tut er es nicht?“. Dazu kommt das Jake – auch hierin gleicht er klassischen Westernfiguren – einen sehr präzisen moralischen Kompass hat. Er weiß, dass er im Recht ist und das Gesetz verteidigt, weswegen er keine Probleme damit hat, seine Waffe zuerst zu ziehen oder auf einen körperlich überlegenen Gegner zu richten, der ihn mit den Fäusten bedroht. „Ich bin das Gesetz und so lange ich gewinne, ist es ein fairer Kampf“, ist sein Motto und damit lassen sich an vielen Stellen ausgelutschte Genreklischees unterlaufen und neue Situationen schaffen.
Im ersten Roman hat sich Jake Gutterson einer Reihe solcher Situation zu stellen, aber letztendlich wurde er als Revolverheld angeheuert, um ein mexikanisches Dorf vor Banditen zu schützen – natürlich lassen hier die glorreichen sieben Samurai grüßen – und hier muss es am Ende zur großen Auseinandersetzung kommen. Ich verrate also nicht zu viel, wenn ich sage, dass den Leser am Ende eine Menge Action erwartet.
BLITZ: Durch die Seiten Ihres Romans scheint ein profundes Hintergrundwissen für die Gegebenheiten im Mexiko der damaligen Zeit. Wie haben Sie sich dieses Hintergrundwissen erarbeitet?
Mann: Ich bin prinzipiell niemand, der bei einem Western einen übermäßigen Wert auf Authentizität legt. In Christopher Fraylings Biografie über Sergio Leone stand einmal, Western seien Märchen für Erwachsene und so versuche ich sie auch zu verstehen. Der Western ist zu einem eigenständigen Genre mit vielen Spielmöglichkeiten erwachsen und kein reines Historienstück mehr, zumal ich leider feststellen muss, dass viele Autoren für sich eine „Authentizität“ in Anspruch nehmen, die ihre Geschichten nicht transportieren. Ich habe selber Geschichte studiert und weiß von daher ganz gut, wie schwer es ist, komplexe historische Zusammenhänge zu rekonstruieren oder sich in die Denkweise vergangener Generationen hineinzuversetzen. Da ist es nicht hilfreich, die eigene Grundeinstellung auf historische Prozesse zu übertragen, was aber fast alle Autoren tun. Das ist prinzipiell nicht schlimm, aber eben nicht authentisch.
Dennoch war es mir für dieses Buch wichtig, ein nicht zu klischeeüberladenes Bild von Mexiko zu präsentieren, wie es sich leider in vielen Western, egal ob im Film oder im Roman, antreffen lässt. Dafür waren ein paar Hintergrundrecherchen notwendig, aber es gibt zu bestimmten Themen, etwa den Rurales oder auch dem Banditenunwesen, sehr gute englischsprachige Fachliteratur.
Perspektivisch würde ich auch gern einen „historischen“ Western schreiben, der sich mit Pancho Villas Überfall auf Columbus 1916 befasst. Aber das ist tatsächlich ein sehr rechercheaufwendiges Unterfangen, da man historische Figuren auftreten lässt und sich mit ihnen erst einmal intensiv auseinandersetzen muss, um sie halbwegs zutreffend zu charakterisieren. Ich habe zu dem Ereignis viel gelesen und versuche noch viele Zeitzeugendokumente zu erschließen, um den Charakteren möglichst nahe zu kommen.
BLITZ: Wenn „Mexiko Marshal‟ ein Italowestern wäre, welcher Schauspieler würde den Jake Gutterson verkörpern?

Mann: Eine gute Frage. Eigentlich gab es beim Italowestern nur zwei Heldentypen. Nahezu alle Schauspieler folgten dem Beispiel von Clint Eastwood mit seiner stark reduzierten Mimik und Gestik – sogar Terence Hill, der ursprünglich ein paar sehr harte Italowestern drehte, nachdem er Karl May den Rücken gekehrt hatte. Der Einzige, der von Beginn an anders war, war Guiliano Gemma. Statt Dreitagebart hatte er glatt rasierte Wangen und dazu immer ein Grinsen im Gesicht. Er war ein richtiger Sonnyboy, der aber genauso hart sein konnte wie seine Kollegen.
Jake Gutterson ist keiner von diesen Typen. Wie gesagt, orientiert sich die Figur stark an Leonards Raylan Givens und die Art, wie Timothy Olyphant ihn in „Justified“ gespielt hat, habe ich immer im Hinterkopf, wenn ich Szenen mit ihm schreibe. Vielleicht wäre der großartige Tomás Milian – einer meiner absoluten Lieblingsschauspieler – dazu in der Lage gewesen. Generell glaube ich aber, dass Jake Gutterson – wie auch sein großes literarisches Vorbild Raylan – eine Weiterentwicklung dieser Westernfiguren darstellt, die das Genre an sich für ein modernes Publikum attraktiv machen sollen, weswegen es natürlich schwer ist, sich Schauspieler dafür vorzustellen, die in ihrer Zeit einen anderen Typ dargestellt haben.
BLITZ: Im Herbst gehen die Abenteuer von Jake Gutterson weiter, mit seinem zweiten Abenteuer „Ein aufrechter Mann‟. Was erwartet den Helden in diesem nächsten Roman?

Mann: Na ich hoffe viel Spannung und dabei doch die eine oder andere Szene, die ihm ein Schmunzeln entlockt. Jake Gutterson gibt mir ein bisschen die Gelegenheit, mit den Genrekonventionen zu spielen. Hier im zweiten Buch trifft er dann zum Beispiel auch auf den typischen großen, stiernackigen, muskelbepackten Typen, der es mit ihm mit den Fäusten austragen will. Wird er sich darauf einlassen? Das wird man sehen. Jake gerät in mehrere brenzlige Situationen. Wie oft wird er gezwungen sein, zum Revolver zu greifen? Der Leser sollte unbedingt mitzählen und sich am Ende fragen, ob das Buch dadurch mehr oder weniger spannend geworden ist.
Mir ist wichtig, dass die Figuren in meinen Büchern „echt“ wirken. Wie schon gesagt, geht es mir nicht um Authentizität und vielleicht auch nicht um Realismus – dann würden sich sicherlich viele Konfliktsituationen anders abspielen – aber die handelnden Figuren sollen doch Menschen aus dem Leben sein und keine aus der Klischeekiste. Dazu gehört, dass Antagonisten nicht einfach schlecht sind, weil sie schlecht sind oder nicht einfach böse aus Gier oder Machthunger. Es gehört schon etwas mehr dazu und auch wenn Jake ab und zu auf wirklich schlechte Menschen treffen wird, so sind die Mehrheit derer, die er als Gesetzeshüter jagt, solche Menschen, die in einer bestimmten Situation aus ganz unterschiedlichen Motiven heraus einen Fehler begangen haben. Es wird also eher um menschliche Schwächen als um fiese Bösartigkeit gehen, aber eben auch dadurch soll Spannung entstehen, denn mit eindimensionalen Comicschurken hat man kein Mitleid, aber mit den kleinen Leuten, die irgendwann mal glauben, eine günstige Gelegenheit zu ergreifen, auch wenn es gegen das Gesetz ist, können sich meines Erachtens viele Leser bis zu einem gewissen Grad identifizieren. Bei denen möchte man nicht, dass sie am Ende die Kugel trifft. Wie werden also solche Geschichten aufgelöst werden?
Das sind die Romane, die ich schreiben möchte, spannende Thriller mit echten Menschen, mit denen man mitfiebert, weil man sie verstehen kann und die trotz ihrer Fehler auch ein paar sympathische Wesenszüge tragen. Ich denke, dass sich meine Bücher damit schon von vielen Genrewestern abheben und hoffe, dass sie ihre Leser finden werden, die sich davon gut unterhalten fühlen. Ideen für neue Geschichten um Jake habe ich mehr als genug, aktuell schreibe ich schon am fünften Band. Ob es noch mehr werden, entscheiden auch die Leser.
BLITZ: Vielen Dank für das Gespräch!