Besuch bei der Elfensippe | Eine Leseprobe aus dem neuen DSA-Krimi „Die Elfe vom Veitner Moor“

Nachdem die tote Elfe im Moor gefunden worden ist, nimmt die Abilachter Hauptfrau Ayla saba Nasreddin gemeinsam mit ihren Untergebenen die Ermittlungen auf. Zusammen mit Callan Wolter, einem Mitarbeiter der Stadtwache, besucht sie auch die Elfensippe im nahen Wald, die sie bis dahin nur vom Hörensagen kennt. Weder Ayla noch Callan hatten je zuvor direkten Kontakt mit dem spitzohrigen Volk. Noch während die beiden durch den Wald reiten und sich fragen, wie sie die Elfen eigentlich finden sollen, finden die Elfen sie …

Callan hatte ebenfalls seinen Dolch gezückt und blickte unsicher abwechselnd nach rechts und links. Wen sollte man zuerst angreifen, wenn die Gegner von allen Seiten kamen?

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Seit einigen Wochen im BLITZ-Shop erhältlich: Katja Angenent | Die Elfe vom Veitner Moor | Titelbild: Tristan Deneke

Da schlug der Verhüllte vor Ayla die Kapuze zurück. Das erste, was ihr an ihm auffiel, waren seine großen, hellen blauen Augen. Solche Augen hatte sie noch nie gesehen. Sie war plötzlich wie verzaubert. Diese Augen schienen direkt durch sie hindurch und in ihre Seele zu blicken. Fast hätte Ayla schamhaft ihren Kopf gesenkt, doch das Gesicht des Fremden war ebenfalls außergewöhnlich und fesselte ihren Blick. Markant und knochig, aber dennoch eben und glatt, übte es eine merkwürdige Faszination auf sie aus. Ayla verspürte einen merkwürdigen Drang, die Wange des Fremden zu berühren. Er strich sich das lange, hellblonde Haar hinter die Ohren, und Ayla sah, dass diese am oberen Ende viel zu spitz zuliefen, um zu einem Menschen zu gehören.
„Callan …“, sagte sie zögernd, und als er nicht antwortete, noch mal: „Callan“.
Er sagte nur „Ja“.
Sie brauchte sich nicht umzudrehen um zu wissen, dass er es auch gesehen hatte.
Da machte der Elf den Mund auf uns sang. Ayla meinte, im Gesang Wortfetzen zu verstehen, die wie „Sayna Schala“ und „Bahn Baladin“ klangen, aber sie war sich der Worte nicht sicher. Als hätten sie es ­einstudiert, bewegten sich alle Elfen währenddessen gleichzeitig auf die beiden Wachleute zu.
Ist das ihr Kriegslied, fragte sie sich und fasste ihre Waffe fester. Aber wir haben doch nichts getan, dachte sie. Ob wir sie durch unser Rufen beleidigt haben? Ayla bedauerte, nicht mehr von der elfischen Kultur zu kennen.
Der Elf kam noch einen Schritt näher, dann noch einen. Sie hob ihr Schwert. Da senkte er die Waffe und lächelte. Ayla war so sehr auf sein Gesicht und sein Tun fixiert, dass sie es ihm im selben Augenblick gleichtat. Das Lächeln des Elfs wurde breiter. Ayla war sicher, noch nie in ihrem Leben ein schöneres Gesicht gesehen zu haben.
Es war auf eine seltsame Art und Weise plötzlich alles in Ordnung. Sie fühlte sich wohl, sie vertraute dem Elfen. Erwartungsvoll sah sie ihn an, verlor sich erneut in seinen Augen. Zuerst hörte sie nicht, dass er etwas zu ihr sagte. Wie in einem Traum nahm sie seine Stimme wahr, die ungewöhnlich hoch war für einen Mann. War er überhaupt ein Mann? Ach, das Geschlecht spielte doch keine Rolle. Sie lauschte dem Singsang, und je länger sie zuhörte, umso mehr schien sie zu verstehen. Einzelne Worte drangen zu ihr, langsam, wie aus der Zeit gefallen.
„Sei … gegrüßt. Du … hast … uns gerufen?“
„Ihr sprecht meine Sprache?“, fragte Ayla verblüfft.
„Ich … bin der Einzige aus … meiner Sippe“, sang der Elf. „Ich … habe … eine Zeit … unter Menschen gelebt.“ Obwohl er die einzelnen Wörter fehlerfrei aussprach, schien er sich irgendwie dazu zwingen zu müssen. Zwischen einigen Passagen machte er lange Pausen, ganz so, als überlegte er, welches Wort als nächstes kommen sollte.
Ayla sagte nichts. Ihr Kopf war voller Fragen, sie bekam jedoch kein Wort heraus.
Es war Callan, der sagte: „Wir wollen euch nichts tun. Wir sind hier, um euch zu helfen.“ Auch er hatte seine Waffe gesenkt. Seine Stimme zitterte. Ayla war wie gebannt von dem schönen Wesen vor ihr. Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, aber es fühlte sich an, als sei in ihrem Kopf ein Topf mit Honig umgefallen.
„Warum … wollt ihr uns helfen?“, fragte der Elf. „Wir haben keine Hilfe nötig.“
Ayla schüttelte den Kopf und bemühte sich um Konzentration. „Im Moor hinter Abilacht ist eine von euch gefunden worden. Sie ist tot.“

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Katja Angenent, die Autorin des Romans „Die Elfe vom Veitner Moor“

„Eine von uns?“ Der Elf schien sich nicht sicher zu sein, ob er die Worte richtig verstanden hatte. Er sang mit den anderen Elfen. Vermutlich wechselten sie Worte, aber für Ayla war es das schönste Konzert, das sie je erlebt hatte. Alle Elfen hatten mittlerweile ihre Kapuzen gelüftet und die Bögen gesenkt. Voller Erstaunen bemerkte Ayla, dass alle vier gleich aussahen. Konnten das viermal die gleichen Elfen sein? Sie wusste viel zu wenig über dieses Volk. Warum hatte sie sich bisher nicht für Elfen interessiert? Sie fühlte, einen großen Fehler begangen zu haben. Die Elfen sangen sich gegenseitig an. Es schien Ayla, als würden sie verzauberte Lieder singen. Eine Stimme war schöner als die andere, leicht, schwebend, klar. Ayla hätte ihnen stundenlang zuhören mögen. Doch viel zu schnell wandte sich der Elf ihr wieder zu.
„Keiner von uns ist tot“, sagte er.
„Ich meinte auch nicht von eurer Sippe“, klärte Ayla auf, „sondern von eurer … Art. Eine Elfe eben.“
„Im Moor hinter eurer Stadt habt ihr sie gefunden?“
„Hinter Abilacht, genau.“
Der Elf sagte nichts.
„Wir fanden sie zufällig“, berichtete Ayla. Der Honig in ihrem Kopf schien nun weniger zu kleben. „Sie lag im Moor und hatte offenbar einen schweren Schlag auf den Hinterkopf bekommen. Unser“, – wie nannten Elfen das wohl? Sie zögerte. „ … Oberhaupt meint, dass es ein Unfall war, aber das glaube ich nicht. Ich glaube, dass sie jemand umgebracht hat.“
Wer sagte eigentlich, dass es keine Elfen gewesen waren? Mit einem Anflug von Misstrauen betrachtete sie die Spitzohren, die sich nun alle vier vor ihr und Callan aufgebaut hatten. Sie spürte die vertraute Gegenwart des Untergebenen hinter sich, konnte sein Gesicht jedoch nicht sehen. Aus irgendeinem Grund wollte er den Elfen nicht zu nahe kommen, diesen schönen, seltsamen, friedvollen, freundlichen Elfen.
Ayla sprach einfach weiter. „Wir haben Sie bei uns auf dem Boronacker beerdigt. Sie trug keinerlei Schmuck oder Ausrüstung bei sich, die darauf schließen ließ, woher sie kam. War sie zu euch unterwegs? Oder vermisst ihr eine Elfe, die vor einigen Tagen von euch aufgebrochen ist? Oder wurde vielleicht Besuch von weit her angekündigt, der bislang nicht eingetroffen ist?“
Der Elf unterhielt sich erneut mit den anderen. Je länger er sprach, desto mehr meinte Ayla, einzelne Wörter, Wiederholungen und Strukturen im Gesang ausmachen zu können. Ja, sie spürte, dass das, was sie anfangs für Gesang gehalten hatte, lediglich eine Sprache war – wenn auch eine besonders poetische.
Schließlich wandte der Elf sich wieder ihr zu. „Es ist sehr … freundlich von euch Menschen, uns davon zu unterrichten. Tatsächlich jedoch wissen wir nichts von einer vermissten Elfe; keine ist von uns gegangen und keine war auf dem Weg zu uns.“ Kam es ihr nur so vor oder war die Stimme des Elfen ein wenig kühler, aggressiver geworden?
„Das heißt, ihr werdet euch nicht um die Elfe kümmern?“
„Wie gesagt, wir kennen sie nicht.“
„Aber Sie muss doch von irgendwoher kommen. Sie hat gewiss eine Familie, hat Freunde, die sie vermissen und sich fragen, was mit ihr passiert ist und warum sie nicht zurückkehrt.“
Besaßen Elfen tatsächlich Familien? Ayla wusste es nicht. Doch der Elf schien sie verstanden zu haben.
„Elfen kommen und gehen. Wir wissen nichts von eurer Elfe. Wir werden trotzdem ein Lied für sie singen.“
Ein Lied für sie singen? Ayla wollte ihren Ohren nicht trauen. „Ihr wollt nicht herausfinden, was eigentlich geschehen ist?“
„Das ist nicht unsere Art.“
Ayla hätte am liebsten geschrien. Waren Elfen immer so gefühllos? „Interessiert euch die tote Elfe gar nicht?“
„Wie schon gesagt, es war keine Elfe unserer Sippe, und es könnte ja auch ein Unfall gewesen sein.“
Ayla schwieg. Plötzlich war sie sehr müde. Sie blickte wieder in das schöne Gesicht.
„Wie ihr meint“, sagte sie schließlich. „Es ist natürlich eure Entscheidung. Aber ich wollte euch auf jeden Fall davon unterrichten, und ich bin froh, dass wir uns einmal gesprochen haben.“ Sie lächelte wieder.
Der Elf erwiderte ihr Lächeln. „Ich auch“, sagte er.
Dann sang er etwas zu den anderen, und plötzlich waren alle vier so schnell verschwunden wie sie gekommen waren.
Verwirrt drehte Ayla sich zu Callan um. Sie blickte in sein ratloses Gesicht. Der Wald um sie herum war leer. Irgendwo über ihnen sang ein Vogel.
„Was war das denn?“, fragte sie. Ayla fühlte sich, als würde sie aus einem langen Traum erwachen.
„Elfen können zaubern“, sagte Callan. „Wusstet Ihr das nicht?“
„Und?“, fragte sie, vielleicht ein wenig zu schroff.
„Dieser Elf“, sagte Callan und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, „hat Euch verzaubert.“

Der Roman „Die Elfe vom Veitner Moor“ ist im Shop des BLITZ-Verlags erhältlich.

Ein Gastbeitrag von Katja Angenent, Autorin des DSA-Krimis „Die Elfe vom Veitner Moor“. Mehr über Katja auf katjaschreibt.de