Nachdem der BLITZ-Verlag in den letzten beiden Jahren die Serie „Westwind“ neu aufgelegt hat, startet in diesem Herbst eine Neuauflage der beliebten „RONCO-Tagebücher“. Zu diesem Anlass sprachen wir mit dem Autor der beiden Romanreihen, Dietmar Kuegler, über seine Liebe zu den USA, welchen Einfluss Karl May auf sein Schaffen hatte und warum seine RONCO-Tagebücher auch heute, nach fast 50 Jahren, noch ihre Leser faszinieren.
BLITZ: Wie wurde Ihre Faszination für die USA, ihre Geschichte und ihre Kultur geweckt?
Kuegler: Ich gehöre einer Generation an, die ihre Amerika- und Indianerbegeisterung noch von Karl May bezogen hat. Mit ca. 11 oder 12 Jahren habe ich dessen Amerika-Romane verschlungen. Wieder und wieder. Dann kamen die Winnetou-Verfilmungen in die Kinos.‚
Parallel dazu gab es in den frühen 1960er Jahren wöchentlich Fernsehserien – „Am Fuß der Blauen Berge“ (Orig. Laramie), „Rauchende Colts“ (Orig. Gunsmoke), Wyatt Earp (mit Hugh O’Brian), „Bonanza“, „High Chaparral”, usw. Von da an wusste ich: Nordamerika ist „mein Land“. Und ich wollte mehr über die Geschichte dieses Landes erfahren. (Mit Hugh O’Brian war ich übrigens in den letzten Jahren bis zum Ende seines Lebens auf Facebook befreundet.) Ich habe mir als Junge geschworen, eines Tages diese Gebiete zu bereisen. Das war natürlich ein ferner Traum. Ich wuchs bei meiner alleinerziehenden Mutter auf. Es gab nicht einmal ansatzweise die finanziellen Möglichkeiten dazu. Aber ich habe diesen Traum nie aufgegeben.
Dass ich mit 17 Jahren anfing, Geschichten zu schreiben, war eine Ersatzbefriedigung; denn so konnte ich mich zumindest in meiner Fantasie in den amerikanischen Westen versetzen.
Mit 14 Jahren gelang es mir, auf verschlungenen Wegen mein erstes amerikanisches Sachbuch zu bekommen – „Pictorial History of the Wild West“. Ich konnte die englischen Texte damals nur unzureichend lesen, aber die historischen Bilder haben mich noch mehr in Bann geschlagen als Filme und Romane. Ich verstand sofort: Die wahre Geschichte ist noch abenteuerlicher als ich es erwartet hatte. Daraus entstand eine lebenslange Leidenschaft.

Ich will ganz klar sagen: Man muss nicht unbedingt nach Amerika reisen, um gute Western schreiben zu können. Die meisten meiner Kollegen damals waren nie jenseits des Großen Teichs. Auch ich habe RONCO und LOBO konzipiert und geschrieben, bevor ich in Amerika war. Aber ich hatte damals schon intensive Recherche betrieben, kannte die wahre Geschichte – und mit Mitte 20 war ich dann erstmals drüben. Hätte ich das vorher geschafft, wären meine Romane nicht viel anders ausgefallen; vielleicht hätte ich die Atmosphäre noch besser beschreiben können, hätte mehr Einsicht in die amerikanische Mentalität erhalten. Vielleicht. Meine intensiven Reisen wurden dann entscheidend für meine Non-Fiction-Arbeiten – und das wurde ja letztlich der Schwerpunkt meiner Existenz.
BLITZ: Wenn Sie sich an Ihren ersten Besuch der Vereinigen Staaten erinnern: In wieweit unterschied sich die Realität von Ihren Vorstellungen?
Kuegler: Obwohl ich jetzt seit fast 45 Jahren jedes Jahr, manchmal zweimal jährlich, in den USA unterwegs bin, kann ich mich an das erste Mal noch sehr gut erinnern. Ich landete in Denver (Colorado), damals noch mit meiner inzwischen verstorbenen ersten Frau. Es war ein trübes Frühjahr. Unser Hotel stand unweit der großen Interstate 70. Als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster schaute, rutschte mir buchstäblich das Herz in die Hose. Ein grauer Himmel über einer endlosen, ausgedörrten Plainslandschaft. (Diese Gegend ist heute dicht bebaut und erinnert gar nicht mehr an die Zeit meiner ersten Besuche.) Wir holten unseren Mietwagen und fuhren auf Interstate 25 nordwärts nach Wyoming, in die Gegend, wo „Am Fuß der Blauen Berge“ gedreht worden war. Erstmals sah ich vom Auto die „Blauen Berge“, bei denen es sich um die Laramie Mountains handelte. Dann ging es zum alten Fort Laramie, wo große, entscheidende Geschichte stattgefunden hat. Siedlertrecks, Verhandlungen mit Indianervölkern, der Pony Express… Das alles spielte sich hier ab, und die Landschaft hier hat sich nur unwesentlich verändert.
Mir ging das Herz auf. Mein erster Gedanke war: Hier bin ich zuhause. Seither gehört Wyoming zu meinen Lieblingsstaaten in den USA, gefolgt von Montana, New Mexico und Arizona. Die Weite und Schönheit der Landschaft ist noch immer unbeschreiblich.
In Wyoming kann es noch immer passieren, dass man auf der Autobahn unterwegs ist und sieht plötzlich aus einem Canyon abseits des Highways Cowboys auftauchen, die eine Rinderherde vor sich hertreiben. Man glaubt in einem Film zu sein, aber das ist die Realität.
Ich saß in kleinen Restaurants, und plötzlich stiefelten Cowboys wie aus dem Bilderbuch herein, um Kaffee zu trinken. Chaps an den Beinen, riesige Hüte auf dem Kopf – manchmal sogar noch einen Revolver an der Hüfte; das gibt es in Wyoming.
Inzwischen ist das für mich zur Normalität geworden, wenn ich dort unterwegs bin. Damals blieb mir manchmal fast die Luft weg. (Ähnliches habe ich später in Arizona im Land der Navajo erlebt, als ich auf der Reservation in einem kleinen Motel gewohnt habe und morgens zum Frühstück Navajo-Schafhirten hereinkamen – dunkelhäutige, ernste, hagere Gestalten mit riesigen Hüten, die ihre Pferde draußen angebunden hatten.)
Aber „mein erster Indianer“ war zunächst einmal desillusionierend. Ich fuhr durch den wildromantischen Wind River Canyon in Wyoming, das Gebiet der Shoshone und Arapaho, und musste an einer Straßenbaustelle anhalten. In den westlichen Gebieten stellen die Bauunternehmen keine Bedarfsampeln auf, wie bei uns, sondern da stehen „Flagmen“ (oder Flagwomen), Menschen, die Schilder oder Fahnen hochhalten und den Verkehr einspurig durch die Baustelle dirigieren. Der erste Flagman meines Lebens war ein Shoshone-Indianer. Er trug eine rote Schutzweste über einem T-Shirt und einen gelben Schutzhelm und winkte mich durch.
Da war nichts mit wehender Federhaube, Mokassins und Lanze. Es war buchstäblich der Tod eines weiteren Klischees, das man vor gut 40 Jahren noch immer mit sich herumtrug.

Am Ende aber war von meiner Enttäuschung der ersten zwei Tage nichts geblieben. Ich war schon zwei Monate später wieder zurück – und seither Jahr um Jahr. Man kann sich kaum vorstellen, wie viele Spuren der alten Pionierzeit noch vorhanden sind, wie viel vom Geist der Pioniere bei den Menschen zu spüren ist. Ich habe meine Recherchen gemacht, bin immer tiefer in die Pioniergeschichte eingedrungen, habe viele gute Freunde in Amerika gewonnen. Menschen aller Ethnien, Weiße, Schwarze, Indianer, Mexikaner, Asiaten. Sie haben mir die Geschichte aus ihren Erfahrungen erzählt und damit mein Bild von der Pionierzeit Amerikas geprägt und mich befähigt, glaubwürdig darüber zu schreiben, Vorträge darüber zu halten und – seit ca. 12 Jahren – Reisegruppen zu den historischen Schauplätzen im amerikanischen Westen zu führen.
In weiten Gebieten Amerikas ist der „alte Westen“ noch immer sehr lebendig. Wenn ich mit Cowboys rede, fühle ich mich 150 Jahre zurückversetzt. Wenn ich mit einem Trucker an der Theke in einer Tankstelle sitze und einen Kaffee trinke, könnte ich auch einen Planwagenkutscher der Pionierzeit neben mir haben, und ein Farmer erzählt mir ähnliche Geschichten wie ein Heimstättensiedler der 1870er Jahre. Nicht zu reden von den physischen Hinterlassenschaften, den Wagenspuren der alten Trails, die bis heute vorhanden sind, Geisterstädten, alten Armeeposten, usw.
BLITZ: Wie gehen Sie als Amerika-Begeisterter mit der aktuellen politischen Situation im Land und der dadurch veränderten Sicht auf die USA aus europäischer Perspektive um?
Kuegler: Aufgrund meiner jahrzehntelangen Erfahrungen in diesem wunderbaren Land, zudem mit einer amerikanischen Frau gesegnet, sage ich Ihnen: Präsidenten kommen und gehen. Wer unhistorisch denkt, die Vergangenheit verklärt, lässt sich leicht von aktuellen Tagesereignissen niederdrücken. Damit soll nicht gesagt werden, dass man nicht besorgt oder frustriert sein muss. Aber Amerika hat im Laufe der letzten 200 Jahre viele sehr ernste Krisen überstanden. Es gab im 18. und 19. Jahrhundert Volksaufstände, es gab den Amerikanischen Bürgerkrieg, der das Land fast zum Zerbrechen gebracht hat. Es gab zeitweise eine sehr gefährliche „Know-Nothing“-Nativisten-Bewegung, die sogar in die Regierung einiger Staaten vordrang. Es gab bittere Bürgerrechtskämpfe, die bis in die 1970er Jahre dauerten.
Alles schon vergessen?
Dieses große Land ist mehr als eine auf Zeit gewählte Regierung. In der Geschichte einer Nation sind 4 bis 8 Jahre ein überschaubarer Zeitraum. Ein sehr guter Freund von mir, ein Afro-Amerikaner, Historiker im Nationalparkservice, sagte mir erst vor kurzem: „Wir machen immer zwei Schritte vorwärts und dann wieder einen zurück. Auf lange Sicht aber geht es immer voran.“
Ähnlich haben sich auch indianische Freunde geäußert, die aus ihrer Geschichte nun weiß Gott die negativsten Erfahrungen mit sich herumtragen. Aber hier spiegelt sich der für Amerika typische Optimismus, der tatsächlich mit realen historischen Erfahrungen korrespondiert.
Dieses Interview ist nicht der richtige Platz, dieses komplexe Thema weiter auszubreiten; es würde zu weit führen. Ich kann nur aus meinen Erfahrungen sagen: Die Amerikaner – speziell im Westen des Landes – sind ein gastfreundliches Volk, das im Alltag eine bemerkenswerte Distanz zu amtlichen oder administrativen Vorgängen und Personen ihres eigenen Landes hat. Um noch einmal auf einen Staat wie Wyoming zu kommen: Hier leben auf einer Fläche von ca. 2/3 der Größe ganz Deutschlands gerade mal 580.000 Menschen. Was die Regierung in Washington treibt, ist für die Leute hier höchstens eine Randnotiz. Das gilt sogar für Vertreter der Staatsregierung, mit denen ich teilweise eng befreundet bin. Die denken in ganz anderen Dimensionen.
Ich will gar nichts herunterspielen. Es gibt derzeit eine gesellschaftliche Spaltung, aber die gab es in verschiedenen Abstufungen immer schon, nur wird sie jetzt überdeutlich. Amerika besteht, wenn man es einmal neutral ausdrücken will, aus einer unüberschaubaren Ansammlung von Interessengruppen – ethnisch, religiös, wirtschaftlich, historisch, etc. – die in einer ständigen Auseinandersetzung miteinander liegen. Und das seit fast 250 Jahren. Es gibt allerdings auch eine Reihe von einigenden Elementen, die letztlich von allen Gruppen akzeptiert werden und den Staat zusammenhalten. Insofern merkt man als Reisender von tagespolitischen Auseinandersetzungen nicht viel.
Hinzu kommt: Ich habe mir im Laufe der letzten Jahrzehnte viele amerikanische Denkweisen angeeignet. Wenn Sie die Geschichte eines Landes verstehen wollen, müssen Sie die Mentalität der Menschen verstehen. Die europäische Distanz kann manchmal hilfreich sein, aber letztlich fand amerikanische Geschichte eben nicht in Europa statt, sondern in Amerika, und die Menschen dort wurden in ihrem Denken und Handeln ganz von der Gesellschaft geprägt, in der sie lebten. Man muss sich in ihre Haut, in ihr Umfeld versetzen, um bestimmte Vorgänge zu verstehen. Dafür brauche ich auch nur mit meiner amerikanischen Frau zu sprechen – und wir beide haben eine ganz klare Meinung über das, was sich im Moment abspielt. Aber die Sonne geht jeden Tag wieder auf, und die Welt sieht irgendwann wieder anders aus.
BLITZ: Zu Beginn des Gespräches erwähnten Sie, dass Sie als junger Mensch eifriger Karl-May-Leser waren. Was hat Sie an den Werken Mays fasziniert?
Kuegler: Karl May war ein charismatischer Autor. Für die heutige Generation hat er leider viel von seinem Reiz verloren. Er wirkt im Vergleich mit heutigen Medien altmodisch. Sein Stil war die Erzählweise des 19. Jahrhunderts.
Als ich heranwuchs, gab es keine 500 Fernsehsender, keine elektronischen Publikationen, kein Internet. In meiner Kindheit hatte nicht einmal jede Familie einen Fernseher. Das erste private Telefon habe ich gesehen, als ich 10 Jahre alt war. Da musste noch jedes Ferngespräch über ein „Fräulein vom Amt“ vermittelt werden.
Meine Generation hatte in erster Linie Bücher. Meine Mutter hat großen Wert darauf gelegt, dass ich viel las. Und ich habe gelesen – alles was in gedruckter Form greifbar war. Karl May hatte zu dieser Zeit noch immer eine ähnliche Anziehungskraft wie schon zu seinen Lebzeiten. Er hat von fernen Ländern erzählt, die für uns ein Traum waren, die zu sehen man sich nicht einmal vorstellen konnte. Er hat fremde Kulturen behandelt, die exotisch und anziehend zugleich waren. Er hat Abenteuer aus einer anderen Zeit erzählt. Seine Romane atmeten eine Freiheit, die man im vergleichsweise engen Europa mit seinen bürokratischen Grenzen nur als fernen Traum empfinden konnte.
Seine Geschichten spiegelten zudem den zeitlosen Kampf des Guten gegen das Böse, verbunden mit einem zutiefst humanistischen Weltbild, mit klaren moralischen Werten, Ethik und Toleranz. Mit einer Weltoffenheit, die einen erstaunt, wenn man weiß, unter welchen Verhältnissen May tatsächlich gelebt und gearbeitet hat. Er hat ja erst als alter Mann einige Reisen unternommen, die ihn an einige wenige Schauplätze seiner Erzählungen geführt haben.
Die Wirkung eines Autors ist selten rational erklärbar. Es geht immer um Emotionen. Karl May hat in mir Sehnsüchte und Träume geweckt, die ich dann viel später mit Rationalität verbunden habe.
Ich denke, dass auch die Wirkung meiner eigenen Romane, die in den 1970er und 1980er Jahren extrem erfolgreich waren, in erster Linie emotional war. Das bestätigen Äußerungen von Lesern, die erstaunlicherweise noch heute bei mir ankommen. Die Frage ist dann: Was entsteht daraus?
Bei mir ließ nach Karl Mays Erzählungen der Wunsch niemals nach, die Wirklichkeit des amerikanischen Westens zu erfahren. Hinzu kam, dass mich die Lebensgeschichte dieses Mannes inspiriert hat, einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Ich behaupte auch, dass seine humanistische Denkweise, sein Respekt vor der allgemeinen Menschlichkeit, mich tief geprägt hat.
Wir lebten in den 50er und 60er Jahren in vergleichsweise engen Lebensverhältnissen. Daher schaue ich nicht nostalgisch zurück. Karl May öffnete in dieser Situation Horizonte. Er gab mir Ziele vor. Seine Themen und sein Weg als Schriftsteller wurden für mich zum Vorbild.
Wer heute mit dem Internet in einer fast grenzenlosen Welt aufwächst, kann sich die Wirkung eines solchen Autors gar nicht mehr vorstellen. Ich will darüber nicht klagen – jede Generation muss sich ihren eigenen Weg suchen. Aber ich fand in meiner Kindheit in Karl May eine Leitlinie.
BLITZ: Welche weiteren Autoren haben Sie in Ihrer Jugend fasziniert und vielleicht evtl. sogar beeinflusst?
Kuegler: Das ist ein sehr weites Feld. Wie gesagt: Meine Mutter hat größten Wert darauf gelegt, dass ich viel las. Zweifellos haben viele Autoren mich – bewusst oder unbewusst – beeinflusst. Nach Karl May habe ich noch die Leihbüchereien erlebt, wo ich mir frühe Western von G. F. Unger, Axel Berger, usw. geholt habe. Von hier aus spannte sich der Bogen dann aber bis zur Hochliteratur. Ich habe schon als Sechzehnjähriger Romane von Steinbeck gelesen („Früchte des Zorns“), Robert Louis Stevenson, Jack London, Siegfried Lenz, Thomas Mann, Mark Twain, Truman Capote, James Michener – ich nenne diese Autoren ganz bewusst alle durcheinander, obwohl sie für sich genommen nicht miteinander vergleichbar sind und zeitlich wie stilistisch diametral entgegengesetzte Arten von Literatur repräsentieren. Ich will damit nur verdeutlichen, dass ich wirklich ALLES gelesen und immer versucht habe, daraus zu lernen – manchmal auch aus Dingen, die ich als negativ empfand. In jedem Fall hat Literatur jeder Art meine sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten und meine dramaturgischen Konstrukte beeinflusst.
Letztlich war es aber immer der „große Western“, der mich gefangengenommen hat und der schicksalhaft für ein Leben wurde.
BLITZ: In diesen Tagen erscheinen die ersten beiden Romane der Reihe RONCO beim BLITZ-Verlag. Bereits mit 21 Jahren wurden Sie beim Erich Pabel Verlag Chefautor der Serie. Wie ergab es sich, dass Sie als so junger Autor dort so schnell Fuß fassen konnten?

Kuegler: Ich hatte mit 17 meine ersten Manuskripte untergebracht. Mit 18 hatte mich der legendäre Werner Dietsch als Autor entdeckt und in die Pabel-Westernreihen integriert, die er als Redakteur betreute. Später hat er mich dann zum Marken-Verlag „mitgenommen“, wo ich erste Erfahrungen mit Serien sammeln konnte. Da ich aus dem Journalismus kam, wusste ich trotz meiner Jugend, wie man ordentlich mit der deutschen Sprache umgeht. Darauf haben die Lektoren immer geachtet. Damals gab es Lekt
oren, Bearbeiter, Redakteure, Korrektoren, die daran mitwirkten, dass ein Manuskript ordentlich im Druck erscheinen konnte.
1972 kam ein Anruf vom damaligen Chef des Pabel-Moewig-Verlags, Werner Müller-Reymann. Man wollte eine neue Western-Serie machen, die den Markt mit frischen Ideen anreichern sollte. Dazu brauchte man auch junge Autoren.
Letztlich war ich am Anfang der einzige „junge Autor“ des Teams. Die Redaktion war allerdings mit den Basisplanungen unzufrieden. Daraufhin kam nach meinen ersten Manuskripten die Anfrage, ob ich nicht probeweise ein paar Exposés schreiben könne. Es war nur ein „Test“. Ich lieferte die gewünschten Arbeiten ab – und keine drei Wochen später war ich Konzeptredakteur.
Sowohl Müller-Reymann als auch der Chefredakteur, Kurt Bernhardt, sagten mir später, sie hätten in meinen Manuskripten ein Talent zur Entwicklung von Geschichten erkannt, die überzeugend, in sich schlüssig, originell und von hoher Dramatik waren. (Das hat mir übrigens auch Werner Dietsch irgendwann, als ich nur noch freundschaftlich mit ihm verbunden war und nicht mehr für ihn gearbeitet habe, gesagt.)
Eigenlob stinkt. Das sind Beurteilungen, die andere treffen müssen. Ich habe einfach meine Arbeit gemacht und mich von einer Leidenschaft antreiben lassen, die ich heute noch empfinde: Ich wollte immer etwas erzählen – damals, um Menschen zu unterhalten, heute, um Menschen zu informieren. Aber es geht immer um das Erzählen. Um die Dramaturgie. Um den Aufbau einer Geschichte. Es geht auch immer um die Darstellung von Menschen mit ihren Eigenarten. Ihren Stärken und Schwächen. Um die Handlungen, mit denen Situationen, Konflikte und Lösungen geschaffen werden. Großartig ausgedrückt auch, es geht um Handlungen, die die Welt verändern, im Kleinen wie im Großen. Es geht darum, das Interesse und die Gefühle anderer Menschen zu erreichen, ihr Leben zu berühren.
Es ging mir – wie Karl May – nie um das oberflächliche Abenteuer, sondern um eine gewisse Tiefe der Handlungen und Charaktere. Das ist auch im leichten Unterhaltungsroman machbar. Man muss es nur wollen.
Offenbar habe ich wirklich eine Gabe dafür, sonst wären meine Arbeiten nicht so gut bei Hunderttausenden von Lesern angekommen. Auch meine amerikanischen Freunde nennen mich oft einen „Storyteller“, einen Geschichtenerzähler.
Man darf nicht zu viel über so etwas nachdenken. So ein Talent ist sehr emotional begründet, es ist auch eine Art Instinkt. Man hat ihn oder man hat ihn nicht. Wenn man versucht, diesen Instinkt zu analysieren, geht er womöglich verloren.
Heute wird immer wieder versucht, Menschen zu berechnen, ihre Gedanken, Vorlieben, Abneigungen, usw. exakt zu durchleuchten und psychologisch planbar zu machen, sie letztlich über diese Erkenntnisse zu beherrschen. Ich mag das nicht. Der Mensch sollte in seiner Vielschichtigkeit akzeptiert werden. Damals gab es so etwas auch nicht. Wir haben in der Redaktion niemals darüber beraten, wie man Leser manipulieren oder in bestimmter Weise „mundgerecht bedienen“ kann. Wir haben einfach versucht, mit unseren Ideen und unserer Arbeit zu überzeugen. Ich behaupte noch immer, dass Erfolg nur sehr bedingt „planbar“ ist, wenn überhaupt.
Was ich veröffentlicht habe und noch heute veröffentliche, bin ich selbst, entspricht meiner Persönlichkeit, ist nicht irgendein Stoff aus der Retorte, der „passend gemacht“ wurde. So ist das übrigens auch, wenn ich heute Vorträge über amerikanische Geschichte halte. Ich stehe mit meiner Person dahinter. Ich liefere nicht irgendetwas, was andere vorgeben oder erwarten.
Kurt Bernhardt war bekannt dafür, dass er ein extrem gutes Gefühl für Themen und Autoren hatte. Er wird gewusst haben, warum er mich aus dem Team herausgepickt und mir die führende Rolle gegeben hat. Ich muss zugeben, dass ich damals sehr überrascht war, auf einen solchen Stuhl gesetzt zu werden. Ich war mit Abstand der Jüngste im Team, aber nach kurzer Zeit haben mir Bernhardt und Müller-Reymann völlig freie Hand gelassen und alles „durchgewinkt“, was ich mir ausgedacht habe. Auch mit Rainer Delfs, der dann dazukam, hatte ich das allerbeste Verhältnis.
BLITZ: Wie sind die RONCO-Tagebücher entstanden?

Kuegler: Ich hatte in einem amerikanischen Fachmagazin über den Dachbodenfund von Briefen und Tagebüchern aus der Zeit des Bürgerkrieges gelesen. Der Urgroßvater des Finders hatte als Bursche im Lager von General U. S. Grant gedient. Der Urenkel hatte keine Ahnung von diesen Papieren, bis sie nach gut 100 Jahren beim Aufräumen entdeckt wurden. Nachdem ich schon lange darüber nachgedacht hatte, wie man der Gestalt RONCOS eine größere menschliche Tiefe geben könnte, kam beim Lesen dieses Artikels der Geistesblitz: RONCO brauchte eine Vergangenheit, eine Kindheit, eine Jugend. Wie konnte man diese Elemente in die Serie einbetten, ohne den Ablauf der Reihe zu stören? Die Antwort: persönliche Tagebuchaufzeichnungen. Und die hat man irgendwo in einer Geisterstadt gefunden.
Kurt Bernhardt war elektrisiert, als ich ihm diese Gedanken bei einem gemeinsamen Abendessen auf meiner Insel erläuterte. Die „Tagebücher“ katapultierten die ohnehin schon erfolgreiche Serie dann richtig nach oben.
Faszinierend für mich ist, dass mich bis heute Leute fragen, ob diese Tagebücher wirklich existiert haben. Die Geschichte muss sehr überzeugend gewesen sein.
BLITZ: Auf der Roman- und Comicmesse in Köln vor zwei Wochen konnte man merken, dass die Reihe sich ungebrochener Popularität erfreut. Wie erklären Sie sich die Faszination von RONCO, beinahe ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen des ersten Romans?

Kuegler: Sie war glaubwürdig. Wie schon erwähnt: Ich habe sehr instinktiv gearbeitet, eigentlich habe ich ein Umfeld geschaffen, wie ich es mir persönlich für eine Western-Serie vorstellte. Es war also keine Reflektion auf irgendwelche „Marktforschungen“ oder Leserbefragungen. Ich habe das gemacht, was ich selbst gern gelesen hätte. Ich habe den „alten Western“ mit seinen sterilen Personen und Kulissen mit frischen Elementen versehen – wobei ich das „Italo-Western-Image“, das der Verlag ursprünglich wollte – schnell beiseitegeschoben habe. Das gab es am Ende nur noch in den Titelbildern. Starke Action, vielschichtige Figuren, originelle Handlungen, basierend auf tatsächlichen Ereignissen der Pionierzeit. Es war eine neue Western-Realität, die nach meinem Gefühl der Wirklichkeit nahe kam. (Unterhaltungsromane sind natürlich immer mit Ausschmückungen versehen.)
Das englische Fanzine HOT LEAD hat in diesem Jahr meine damalige Arbeit als „Western Classics“ bezeichnet – „klassische Western“. Das ist ein gewaltiges Kompliment, das ich mit Demut entgegennehme. Denn 1972 habe ich nicht daran gedacht, einen „Klassiker“ zu schaffen. Meine Intentionen habe ich an mehreren Stellen dieses Gesprächs schon erläutert. Dass die Ergebnisse dieser Arbeit heute so gesehen werden, ist eine große Ehre für mich.
Es liegt wohl daran, dass ich – und das nehme ich für mich ohne Wenn und Aber in Anspruch – immer authentisch war. Das haben die Leser vermutlich erkannt, und das wird mir noch heute gutgeschrieben. Ich habe eine tiefe Leidenschaft für die amerikanische Pioniergeschichte. Das war so, das ist so, das wird immer so bleiben. Ob ich nun einen Roman mit dieser Thematik schreibe oder ein Sachbuch. Ob ich Gruppenreisen durch Amerika führe oder einen Vortrag an einer Universität oder einem Museum halte – ich werde als glaubwürdig aufgenommen. Das ist nicht gespielt. Ich mache niemandem etwas vor. Ich habe immer so gelebt.
Wer mein Haus betritt, glaubt sich in „little America“. Dem muss ich nichts mehr erklären. Ich denke, die Identifikation mit dem Thema machte auch den anhaltenden Erfolg von RONCO aus. Da stand kein Mensch dahinter, der nur ein „Geschäft“ machen wollte, sondern einer, der das Thema gelebt hat.
BLITZ: Wie stehen Sie heute zu der Reihe? Gehört Sie zu den Favoriten in Ihrem persönlichen Schaffen?
Kuegler: Uneingeschränkt: JA. Beim Lesen der Korrekturfahnen hat mich dieselbe Leidenschaft erfasst, die ich vor 45 Jahren empfunden habe. Ich bin stolz darauf, dass ich einen so nachhaltigen Beitrag zum deutschen Westernroman leisten durfte – und dass ich imstande dazu war.

Ich habe in 50 Jahren unglaublich viel geschrieben. Inzwischen stehen meine Sachbücher weit vorn. Mit meinen Biografien über die Trapper Jim Bridger und Kit Carson habe ich in den letzten Jahren monatelang die Nr. 1 der Amazon-Bestsellerlisten belegt – für mich manchmal kaum fassbar, da diese Namen natürlich eher Insidern bekannt sind. Aber in meiner „Romanvergangenheit“ nimmt die RONCO-Serie, vor allem die TAGEBUCH-Romane, eine absolute Spitzenstellung ein. Daneben auch die Miniserie „WESTWIND“ über die Trapper McNott und Tulipe, die ebenfalls im BLITZ-VERLAG neu erschienen sind.
RONCO hat mir alle Möglichkeiten geöffnet, meine Überlegungen und Ideen im Western umzusetzen. Und – das darf auch nicht verschwiegen werden – mit RONCO habe ich mir die finanziellen Voraussetzungen zur Gründung meines eigenen Verlags geschaffen.
BLITZ: An welchem Projekt arbeiten Sie aktuell als Autor?
Kuegler: Das ist mit einem Satz kaum zu beantworten. Meine Vierteljahreszeitschrift MAGAZIN FÜR AMERIKANISTIK – Zeitschrift für amerikanische Geschichte geht ins 43. Jahr. Sie erfordert die meiste Arbeit. Man kann eine Zeitschrift mit einem solchen Spezialthema nur so lange Zeit am Leben erhalten, wenn man inhaltlich überzeugt. Das geht nicht „mit links“.
Ich übersetze sehr viel. Ich schreibe sehr viele Fachartikel – auch für internationale Magazine, auch in den USA. Ich habe für Zeitschriften wie „Western Pennsylvania History“, „Wild West History Journal“, „Guns of the Old West“, u. a. geschrieben; darauf bin ich natürlich besonders stolz. Wie erwähnt, halte ich Fachvorträge und Vorlesungen an Museen, vor Amerika-Gesellschaften und auch an Universitäten – zuletzt am Anglistik-Seminar in Kiel über die Schlacht von Alamo in Texas. Im Moment arbeite ich an einer Vorlesung über Frauen im amerikanischen Westen.
Ferner führe ich seit 12 Jahren kleine Gruppen von geschichtsbegeisterten Menschen durch den amerikanischen Westen. Dafür bilden meine jahrzehntelangen Recherchen vor Ort und meine Kontakte zu großartigen amerikanischen Historikern und Völkerkundlern, die uns auf diesen Reisen begegnen, die Grundlage. Gerade jetzt bereite ich die Reisen für 2019 vor, die vollständig ausgebucht sind.
Meine letzte größere Arbeit war die Übersetzung eines wissenschaftlichen Textes über den ersten Indianerkrieg westlich des Mississippi ins Englische. (Normalerweise übersetze ich aus dem Englischen ins Deutsche). In diesem Fall wollte ich diese hervorragende Arbeit eines deutschen Indianerkenners international verfügbar machen – und das scheint zu gelingen.
Ich selbst habe auch wieder ein Buchthema vor Augen – aber ich bin doch etwas abergläubisch und werde darüber erst reden, wenn die Sache Gestalt annimmt.
BLITZ: Lieber Herr Kuegler, vielen Dank für das Gespräch!
„RONCO – die Tagebücher“ und die Reihe „Westwind“ sind im Shop des BLITZ-Verlags erhältlich.