„Wenn man liest, wird man immer beeinflusst“ | Teil 2 eines Interviews mit Doggerland-Autor Ulrich Drexler

Während es im ersten Teil des Interviews um die wissenschaftlichen Grundlagen des Doggerlands und die fiktive Annäherung an eine tatsächlich untergegangene Insel ging, verrät der Autor Ulrich Drexler uns in diesem zweiten Teil, wie die Figuren seiner Romantrilogie entstanden sind und welche Autoren ihn beeinflusst haben …

BLITZ: Man kann sich auch als Leser von heute in ihre Figuren hineinversetzen und glaubt trotzdem, dass sie so in der damaligen Zeit gelebt haben könnten. Gerade ihre Frauenfiguren sind sehr tough. Wie sind sie an ihre Figuren herangegangen? Haben Sie sich Menschen aus ihrem Umfeld als Vorbild genommen oder entstammen die Figuren komplett ihrer Fantasie?

Drexler: Die entstammen der Fantasie. Es gibt keine konkreten Vorbilder, es sind mehr so Muster. Ob die Frauen damals wirklich so stark waren, weiß ich nicht. Wenn man sich zum Beispiel so alte Religionsüberbleibsel nimmt, Göttinnenfiguren und so was alles, und sieht, wie man damals mit der frühen Landwirtschaft sein Leben fristete, kann man eher von einer sehr stark matriarchalisch geprägten Gesellschaft ausgehen. Die Erde war deren Grundlage, die bot Nahrung, und Männer haben damals auch schon angegeben wie ein Sack Seife und haben einen auf stark gemacht. Wenn man Gesellschaften betrachtet, die sich bis heute gehalten haben, die ähnlich strukturiert sind, die sind so gebaut, dass die Frauen eigentlich die gesellschaftliche Organisation in der Hand haben. Zum Beispiel in Juchitan, das ist in Südmexiko, da gab es wirklich so eine matriarchalische Gesellschaft, wo die Frauen das Land besaßen, den ganzen Handel mit den Produkten und die Verteilung übernahmen und die Männer auf den Feldern arbeiteten und sie waren glücklich dabei. Das wirkt verrückt, aber eigentlich kann man es nachvollziehen. Wenn Männer miteinander etwas schaffen, dann können die den ganzen Tag blöde Witze reißen, dann fühlen sie sich wohl, denn abends wird mit diesen Frauen gefeiert und dann konnten die Männer sie auch anbaggern bis zum Gehtnichtmehr. Das ist also in Südmexiko noch so gelaufen. Das Schöne daran war, dass die Frauen, die die Organisation übernahmen, im Grunde keine spürbare Macht ausübten. Ich nehme an, dass das damals auch so ähnlich war. Die frühen sesshaften Gesellschaften waren ja auf die Produktion angewiesen und die Frauen repräsentierten eben die Fruchtbarkeit.

BLITZ: Die Gesellschaft im Doggerland war also ihrer Zeit voraus!?

Drexler: Ja, ich habe mal gelesen, historische Romane sagen immer viel über die Zeit des Autors aus. Einige Spitzen sind natürlich gewollt. Nach dem Motto: Hier guckt euch die mal an, so kann es sein. Eben, weil man nicht wirklich weiß, wie, man kann so ganz grobe Strukturen anlegen, aber im einzelnen weiß das kein Mensch. Das ist das Schöne dabei, das bietet ja so zum Schreiben auch eine gewisse Freiheit.

BLITZ: Nicht nur, was die Frauenfiguren angeht, fühlt man sich an vielen Stellen an die Moderne erinnert. Das Schicksal des Doggerlands weckt Gedanken an heutige Sorgen wie die Globale Erwärmung, in deren Folge es ja auch zu Überschwemmungen gewisser Regionen der Erde kommen kann. Hatten Sie dieses Thema im Hinterkopf?

Drexler: Also, ich wollte es nicht missionarisch hereinbringen. Auf keinen Fall. Aber auf der anderen Seite lässt mich das Thema persönlich nicht los. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, wie in guter Science Fiction, eine Handlung abseits der heutigen Realität spielen zu lassen und dann hat man die Freiheit, ganz woanders, auf einem fremden Stern zum Beispiel, Dinge zu beleuchten, die hier zur Zeit ablaufen. Das denke ich ist mir immer schon dareingerutscht.

BLITZ: Über die Fiktion geht das ja auch gut, dann muss man nicht mit dem erhobenen Zeigefinger auftreten.

Drexler: Genau, ich wollte eine unterhaltsame Story schreiben. Also eine, die man gerne liest. Ich hoffe, das ist mir gelungen. Das war mein oberstes Ziel.

BLITZ: In diesen Tagen erscheint ja Band 1 der Reihe, „Steigende Wasser“, bei Rocket Books. Worauf dürfen wir uns denn in Teil 2 freuen? In welche Richtung wird die Geschichte sich entwickeln?

Drexler: Das Werk ist nachträglich in drei Teile gegliedert worden. Daher endet das erste Buch auch mit einem Cliffhanger, man muss das zweite dann lesen. Die Entwicklung ist so, dass es noch relativ ruhig losgegangen ist. Die Handlung wird noch etwas komplexer und im zweiten Band wird es mehr Action geben. Da passiert mehr, mehr Abenteuer. Das Ganze eskaliert, der zweite Band soll ja „Inseln im Chaos“ heißen. Da gibt es auch mehr Gewalt, die Handlung wird sehr lebendig. Der dritte Band soll dann die Stränge wieder zusammenführen. Ich denke, das Ende wird nicht ganz so sein, wie man es erwartet.

BLITZ: Gibt es Autoren aus der Science Fiction oder Fantasy oder anderen Genres, die sie beeinflusst haben?

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Ulrich Drexler | Doggerland – Steigende Wasser | ISBN 978-3-946502-54-8 | Cover: Regina Kallasch

Drexler: Ich habe eine Zeitlang Science Fiction gelesen und da waren’s die Gebrüder Asimov aus der Sowjetunion, die immer diesen verrückten Trick anwendeten, ihre Handlung auf einem fremden Planeten spielen zu lassen, während auf der Erde der Sozialismus gelungen ist und ein glückseliger Zustand herrscht. So waren sie gefeit vor Anfeindungen aus der sowjetischen Funktionärsriege und dann haben sie Leute zu fremden Planeten geschickt, wo das noch nicht funktioniert und haben da genau die Missstände aufgezeigt, die zu der Zeit in der Sowjetunion gang und gebe waren. Das fand ich damals total gelungen. Das hat mich in der Richtung beeinflusst. Ansonsten sind es zwei Autoren, bei denen ich so ein bisschen abgeguckt haben: Zum einen ist das Tolkien, was die Konstruktion der Handlungsstränge angeht. Und der zweite Mika Waltari und sein Werk „Sinuhe, der Ägypter“. Das hab ich als Halbwüchsiger gelesen und war begeistert. Es ist die Geschichte von einem ägyptischen Armenarzt, der eine Frau trifft, die Kontakt zum Hof hat. Dadurch steigt er sozial auf, fällt aber in der Folge um so tiefer und muss abhauen. Auf der Flucht bereist er den damaligen Vorderen Orient zur Zeit Echnatons, er bereits Babylonien, Syrien, bis er schließlich wieder in Ägypten ankommt. Was mich daran fasziniert hat, dass er mit jeder Etappe dieser Reise, in eine völlig fremde Welt eintauchte, jedes Land war völlig anders, es war exotisch, es war bunt, es ging um verrückte Sitten und Gebräuche, das hat mich fasziniert. Ich dachte: Das gab es damals alles, in was für einer langweiligen Welt leben wir denn heute? Aber der Handlungsstrang war sehr eingleisig und das fand ich bei Tolkien etwas gelungener, dass der verschiedene Erzählstränge nebeneinander versetzt immer weiter fabuliert hat. Das waren meine Haupteinflüsse. Wieweit ich durch andere Romane beeinflusst wurde, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich. Wenn man liest, wird man immer beeinflusst.

BLITZ: Vielen Dank für das Gespräch!

„Doggerland − Steigende Wasser“ ist bereits im Handel erhältlich und u.a. über den Shop des BLITZ-Verlags zu beziehen.